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Politik: War Tragödie von Beslan vermeidbar?

Bericht: Geheimdienste wussten Stunden vorher von geplantem Terrorakt

700 Seiten und über 300 Fotos umfasst der Bericht des Duma-Abgeordneten Jurij Saweljew zur Tragödie von Beslan. Heute vor zwei Jahren hatten Terroristen in einer Schule der Kleinstadt im russischen Nordkaukasus über 1300 Geiseln genommen. 330 von ihnen – über die Hälfte davon waren Kinder – starben, als Spezialeinheiten das Gebäude am Mittag des 3. September stürmten. Über die genauen Abläufe konnte die Öffentlichkeit bisher nur spekulieren.

Der offizielle Abschlussbericht einer nur dem Namen nach unabhängigen Parlamentarischen Untersuchungskommission, der nach mehrfacher Verschiebung für Mitte September erwartet wird, folgt im Wesentlichen der Version der Staatsanwaltschaft, die Augenzeugen als geschönt kritisieren. Saweljew, der für die oppositionelle, linksnationale Partei Rodina im Parlament sitzt, verfasste daher ein eigenes Papier. Und kommt, obwohl er die gleichen Expertisen und Zeugenaussagen nutzt wie die Kollegen, in wesentlichen Punkten zu völlig anderen Ergebnissen. Sein Fazit: Die Tragödie wäre vermeidbar gewesen.

Mindestens drei Stunden vor Beginn der Geiselnahme, so zitierte ihn der russische Dienst von US-Auslandssender Radio Liberty, hätten die Geheimdienste „zuverlässige Informationen über einen in Beslan geplanten Terroranschlag“ gehabt. Auch der Sturm, der nach offiziellen Angaben unvermeidlich gewesen war, weil die Terroristen die an der Decke der Turnhalle aufgehängten Sprengsätze zündeten, sei vorab geplant gewesen.

Kreml, Parlament und Staatsanwälte widersprachen den schweren Vorwürfen bislang mit keiner Silbe. Aus gutem Grund: Als anerkannter Experte für Militärtechnik liest Saweljew in den Gutachten, was zwischen den Zeilen steht und Laien verborgen bleibt. Das Puzzle der von ihm rekonstruierten Abläufe ist daher stimmig und nahezu lückenlos. Anders als der offizielle Bericht, in dem zu den Explosionen nur ein Satz steht: Sie waren „zwischen 13.03 und 13.05 Uhr überraschend aus der Turnhalle zu hören“. Saweljew widmet ihnen 273 Seiten.

Die ersten zwei Explosionen lösten demzufolge Flammen- und Granatwerfer aus, die von fünfgeschossigen Wohnhäusern auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf den hölzernen Dachstuhl der Turnhalle zielten. Der geriet in Brand und stürzte ein. Erst dadurch detonierten die an der Decke aufgehängten Sprengsätze. Schon durch den Brand und die Explosionen, schreibt Saweljew, sei eine „beträchtliche Anzahl der Geiseln“ getötet worden. Den Befehl zum Löschen gab der Einsatzstab erst um 15.10 Uhr – zwei Stunden nach Ausbruch des Feuers. Mindestens 106 weitere Geiseln, so Saweljew, starben unter den Salven von Granatwerfern und Panzern auf flüchtende Terroristen.

Saweljew sagte, die Parlamentarische Kommission habe kein Interesse an seinen Ergebnissen gehabt. Auch die Position des Kremls, fürchtet er, werde sein Bericht nicht beeinflussen, Nachfrage würde erst nach einem Machtwechsel bestehen. Ein Netzwerk von Überlebenden und Angehörigen der Opfer hat Teile des Dokuments ins Internet gestellt. Ihre Sprecherin Ella Kessajewa sagte, Politiker und Generäle seien bei den heutigen Trauerfeierlichkeiten unerwünscht. Die „Staats- und Armeeführung“ gehöre vielmehr „vor Gericht“.

Teile des Dokuments im Internet:

www.pravdabeslana.ru

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