zum Hauptinhalt
Update

Von Fall zu Fall: Warum der Westen in Syrien so zögerlich reagiert

Der Druck auf Syriens Präsident Assad wächst. Doch anders als in Libyen scheint der Westen ein direktes Eingreifen nicht zu erwägen. Warum ist das so?

Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki Moon, hat Syriens anhaltende Gewalt gegen friedliche Demonstranten auf das Schärfste verurteilt. in New York erklärte er seine „zunehmende Besorgnis“ angesichts der Niederschlagung der Proteste. Die syrischen Behörden seien verpflichtet, Zivilisten zu schützen. „Ich verurteile die anhaltende Gewalt gegen friedliche Demonstranten, vor allem den Einsatz von Panzern und scharfen Schüssen, wodurch hunderte Menschen getötet und verletzt wurden“, sagte Ban. Er schließe sich dem Aufruf der UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay zu einer unabhängigen Untersuchung an. Allerdings hat sich die UN bislang nicht auf eine gemeinsame Erklärung einigen können. Der UN-Sicherheitsrat beriet am Dienstagabend (Ortszeit) über die Situation in Syrien, vertagte die Gespräche jedoch auf den heutigen Mittwoch. Ob eine Erklärung abgegeben wird, hängt vor allem von Russland und China ab, die Initiativen zumeist ablehnen, die sie als Einmischung in die Angelegenheiten eines Staates empfinden. Chinas UN-Botschafter Li Baodong erklärte, er poche auf eine „politische Lösung“. Der deutsche UN-Botschafter Peter Wittig sagte, die „verstörenden Ereignisse“ in Syrien bedürften der Aufmerksamkeit des UN-Sicherheitsrates. Trotzdem versucht der Westen den Druck auf Syrien zu erhöhen. Die USA kündigen „gezielte Sanktionen“ gegen die Führung in Syrien an und auch die EU erwägt Strafmaßnahmen. Doch das syrische Regime zeigt sich bislang unbeeindruckt von den Ermahnungen. In der Stadt Daraa erschossen Sicherheitskräfte laut einem Aktivisten erneut Demonstranten. Bei allen verbalen Verurteilungen zeigt sich aber doch ein anderes Vorgehen der internationalen Gemeinschaft als im Fall Libyen. Berichte aus den USA und aus der Türkei erklären den Unterschied in der Betrachtungsweise beider Konfliktherde.

Wie verhält sich Washington?

Die US-Regierung beobachtet die Entwicklung in Syrien seit Wochen mit Sorge. Aber erst die Eskalation der Gewalt am Wochenende hat das Land in die Topnachrichten der US-Medien gebracht und den Handlungsdruck auf Präsident Barack Obama erhöht. Konservative Medien wie das „Wall Street Journal“ werfen Obama vor, er handle unentschlossen und widersprüchlich. In Libyen habe er militärisch interveniert. In Syrien scheue er davor zurück, die Herrschaft der Familie Assad für illegitim zu erklären. Die „New York Times“ und die „Washington Post“ schreiben, die wachsende Zahl der Toten in Syrien setze Obama unter Druck, sein unterschiedliches Vorgehen zu erklären, erläutern dann aber ausführlich, was Syrien von Libyen unterscheide. Was die USA tun, richtet sich nach den Handlungsoptionen und den nationalen Interessen.

Die Medien werfen die Frage auf: Was ist die Alternative, wenn Assad stürzt? Enge Verbündete Amerikas wie die Türkei, Israel und Saudi Arabien sehen in der Herrschaft der säkularen Baath-Partei ein Bollwerk gegen islamische Extremisten. Und die Wirkung amerikanischer Wirtschaftssanktionen gegen Syrien ist begrenzt. Die EU sei ein viel wichtigerer Handelspartner für Assad, sagen Experten. Die USA könnten etwa die Lieferung von Ersatzteilen für syrische Flugzeuge des Typs Boeing stoppen und Bankkonten der Führungsschicht einfrieren. Davon gebe es aber wenige in den USA. Viel wirksamer seien Sanktionen der EU-Staaten.

In den Berichten über die Schauplätze in Arabien weisen US-Medien darauf hin, dass eine militärische Intervention nur in Libyen sinnvoll erschien, weil Gaddafi sich auf wenige tausend ausländische Söldner stütze. Syrien hat eine schlagkräftige Armee und Luftwaffe. In Bahrain stützt Saudi Arabien das Regime. Die USA werden nicht gegen einen so engen Verbündeten vorgehen. Im Jemen herrscht Bürgerkrieg. Generell ist die öffentliche Meinung in den USA gegen weitere Interventionen wie im Irak oder in Afghanistan, die zu einer mehrjährigen Präsenz von US-Truppen führen und viel Geld kosten. „Libyen ist ein Sonderfall“, betont Obamas Sprecher Jay Carney.

Führende Republikaner unterstützen Obamas vorsichtigen Kurs gegenüber Syrien. Senator John McCain, ein Vietnamveteran und 2008 Obamas Gegner in der Präsidentschaftswahl, sagte am Wochenende, er könne sich „jetzt oder in naher Zukunft kein Szenario für Syrien vorstellen, wo ein Militäreinsatz der USA oder der Nato hilfreich wäre“.

Welche Haltung nimmt die Türkei ein?

Während der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan bei den Aufständen in Ägypten und Libyen öffentlich den Amtsverzicht der dortigen Despoten forderte, beschränkte er sich im Fall des Nachbarlandes Syrien bisher darauf, die Regierung zu Reformen aufzurufen. Von einem Rücktritt von Baschar al Assad sprach in Ankara bis jetzt niemand. Immerhin richtete der türkische Botschafter in Damaskus, Ömer Önhon, der syrischen Regierung aus, die Türkei mache sich allmählich Sorgen. Das türkische Außenamt erklärte, Ankara erwarte „maximale Zurückhaltung“ von den syrischen Sicherheitskräften beim Umgang mit Demonstranten und eine rasche Umsetzung der versprochenen politischen Reformen.

Unruhe in einem Land, mit dem die Türkei eine rund 900 Kilometer lange Landgrenze hat, muss den Türken ohnehin Sorgen machen. Doch auch der türkische Anspruch auf eine regionale Führungsrolle wird von den gebrochenen Reformversprechen des Assad-Regimes unterwandert: Schon vor Wochen hatte Erdogan verkündet, Assad habe ihm gegenüber baldige Veränderungen angekündigt. Doch die Lage in Syrien hat sich seitdem nicht verbessert, sondern verschlechtert. Die Türken fühlen sich düpiert.

Die Beziehungen zwischen beiden Ländern hatten sich in den vergangenen Jahren erheblich verbessert, die Visumspflicht für Reisen der Türken und Syrer ins jeweilige Nachbarland wurde abgeschafft, Regierungspolitiker trafen sich zu regelmäßigen Gesprächen. Die Türkei versprach sich von diesem Kurs mittelfristig auch eine stärkere Verankerung Syriens in der internationalen Gemeinschaft – und damit auch ein Ende der syrischen Unterstützung für radikale Organisationen in Nahost, wie Celalettin Yavuz vom Ankaraner Nahost-Institut Türksam sagt. Nun aber könne sich Ankara gezwungen sehen, die Haltung zu Syrien zu revidieren – zum Beispiel, „wenn eine Flüchtlingsbewegung über die Grenze beginnt“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false