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Volkes Stimme: Warum die Proteste in Russland wahrscheinlich bald abebben

Die russische Regierung lässt ausrichten, man habe die Demonstranten gehört. Mehr nicht.

Zehntausende kamen am Samstag zu ihrer Protestkundgebung gegen gefälschte Wahlen – nun hat sich die Opposition in Russland erst mal eine vierzehntägige Auszeit genommen. Fünf Punkte umfasst ihr Forderungskatalog: Parlamentsneuwahlen, Absetzung und Bestrafung von Russlands oberstem Wahlleiter Wladimir Tschurow, Freilassung politischer Gefangener, Zulassung oppositioneller Parteien. Sollten Kreml und Regierung innerhalb der kommenden zwei Wochen kein Verhandlungsangebot vorgelegt haben, ist eine weitere Kundgebung geplant. Und dann, sagen die Organisatoren, würden noch sehr viel mehr teilnehmen.

Die Machthaber hätten den Bogen überspannt, warnte die Publizistin Marietta Tschudakowa. Durch die Verhaftungen Anfang vergangener Woche hätten sie die Proteste nur weiter befeuert und radikalisiert. Die Geduld des Volkes sei zu Ende. Seit der Wahl am 4. Dezember wurden rund 1600 Menschen festgenommen. Die Opposition wirft dem Kreml Wahlfälschung zugunsten von Wladimir Putins Regierungspartei „Einiges Russland“ vor.

Die Massenproteste, glaubt Maxim Blant vom Online-Nachrichten-Portal newsru.com, hätten Kreml und Regierung unmissverständlich vorgeführt, wie unzufrieden die Gesellschaft sei. Es dürfte jedoch extrem schwierig werden, Liberale und ultraorthodoxe Kommunisten aus linken Splittergruppen, Anarchisten und Monarchisten, die derzeit nur die gemeinsame Gegnerschaft zu Putin und „Einiges Russland“ verbindet, auf ein gemeinsames Programm einzuschwören.

Ähnlich sieht das auch der Politikwissenschaftler Nikolai Slobin, der in den USA arbeitet. Koalitionen und Kompromisse, sagte er „Radio Liberty“, hätten in Russland Seltenheitswert. Die dafür nötigen Abstriche an den eigenen Positionen würden vom Gegner und von den Massen als Schwäche ausgelegt. Daran könnte nicht nur das Bündnis Solidarnost, das die Proteste koordiniert, scheitern, sondern auch dessen Verhandlungen mit den Machthabern.

Zwar war Andrei Issajew, der zur Führung der Putin-Partei gehört, gleich nach den Protesten am Samstag von russischen Nachrichtenagenturen mit den Worten zitiert worden, die Stimme des Volkes müsse gehört werden. Bei den Kundgebungen handle es sich jedoch lediglich um Proteste „eines Teils der Bevölkerung, der mit den offiziellen Ergebnissen unzufrieden ist“. Gleich danach meldete sich Putins Pressesprecher zu Wort: Es sei nicht klar, ob die Regierung, und wenn ja, in welcher Form, zu den Protesten Stellung nehmen werde.

Putin sowie Präsident Dmitri Medwedew gingen auf die am Samstag formulierten Forderungen bisher nicht ein. Die meisten kritischen Beobachter glauben daher, beide würden versuchen, die Krise auszusitzen. Medwedew werde deshalb in seiner Jahresbotschaft vor der Duma, die sich noch vor Jahresende konstituieren soll, vage Zusagen für demokratische Reformen machen, die schon allein deshalb keinen praktischen Wert hätten, weil im März Neuwahlen des Präsidenten anstehen. Die Proteste könnten dennoch vorübergehend abebben: In die Zeit nach Neujahr fallen zehntägige Ferien – und die schlimmsten Fröste.

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