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Politik: Warum Dieter Bohlen recht hat

Von Harald Martenstein

In Gestalt des Popmusikers Dieter Bohlen hat die deutsche Kulturkritik einen neuen Lieblingsfeind gefunden. Bohlen sitzt in der Jury der Casting-Show „Deutschland sucht den Superstar“. Kandidaten, die besonders unprofessionell auftreten oder auf andere Weise negativ auffallen, werden von Bohlen hart angefasst. Bohlen sagt dann Sachen wie: „Damit kann man Kakerlaken ins Koma singen“, oder: „Kann man irgendwie verhindern, dass du Musiklehrer wirst?“ Oder Schlimmeres. Inzwischen gilt Bohlen als Inbegriff des Menschenfeinds, ein Feuilletonist nannte ihn seinerseits „Hackfresse“ und verglich ihn, durchaus zutreffend, mit dem Typus des unbarmherzigen, Rekruten schleifenden Unteroffiziers aus den Kriegsfilmen.

Bei vielen Jugendlichen kommt Bohlen allerdings gut an. In der Sache hat er nämlich fast immer recht und er kann sich, andererseits, auch begeistern für Kandidaten, die ihm gefallen. Mein halbwüchsiger Sohn mag Bohlen, weil Bohlen sagt, was er denkt, weil er klare, zwar oft beleidigende, aber meist auch nachvollziehbare Botschaften sendet, und weil er nicht rumschleimt. Das Rumschleimen ist weniger beliebt, als die Rumschleimer glauben.

In der Pädagogik hat sich die Meinung durchgesetzt, dass die Selbstwertgefühle junger Menschen um nahezu jeden Preis, auch den der Ehrlichkeit, gestärkt werden müssen. Du bist gut, du bist schön, du bist der Beste – das ist die Botschaft, die es zu senden gilt. In den USA pflegen falsche Antworten in der Schule von den Lehrern mit der Floskel beantwortet zu werden: „Eine sehr gute Antwort, aber …“ Als besonders harte Kritik gilt der Satz: „You can do better“, es geht besser. Inzwischen aber mehren sich die Gegenstimmen. Sozialpsychologen wie Roy Baumeister oder Nicholas Emler vertreten eine Position, wie sie einem auch der gesunde Menschenverstand nahe legt: Es ist weder gut für die Persönlichkeitsentwicklung noch gut für Unternehmen, wenn harte Kritik tabuisiert wird. Menschen mit nur durchschnittlich entwickeltem Selbstbewusstsein verhalten sich sozialer, sind lernfähiger, liebesfähiger und flexibler. Bei einem Experiment in den USA waren nicht die schüchternen, sondern die besonders selbstbewussten Versuchspersonen als erste bereit, Folter anzuwenden. Viel Lob und der Verzicht auf harte Kritik machen uns offenbar weder zu besseren noch zu leistungsfähigeren Menschen, sondern zu eitlen Egoisten. Dieter Bohlen vergreift sich manchmal im Ton. Aber in der Sache hat er recht.

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