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Politik: Was das Volk so hören muss - Die Debatte zur Spendenaffäre

Die Vorstellung, der zahlreiche Schüler beiwohnten, war gewiss kein staatsbürgerlicher Unterricht zur Hebung des demokratischen Bewusstseins. Als gestern im Reichstag der parlamentarische Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der CDU-Parteispendenaffäre eingesetzt wurde, erlebten die Jugendlichen aus Stadt und Land eine sich bis an den Rand verbaler Amokläufe vorwagende Aussprache.

Die Vorstellung, der zahlreiche Schüler beiwohnten, war gewiss kein staatsbürgerlicher Unterricht zur Hebung des demokratischen Bewusstseins. Als gestern im Reichstag der parlamentarische Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der CDU-Parteispendenaffäre eingesetzt wurde, erlebten die Jugendlichen aus Stadt und Land eine sich bis an den Rand verbaler Amokläufe vorwagende Aussprache. Wie saurer Wortregen prasselte es auf die Besuchersitze herab. Hohn, Verdächtigungen, Beleidigungen, Unterstellungen und auch Drohungen stiegen auf. Die Parteien debattierten.

Und die Schüler erlebten einen Parteivorsitzenden der CDU, einen Nachfolger Helmut Kohls, einen Fraktionsvorsitzenden, einen Wolfgang Schäuble in einer Rolle, in der er eigentlich nur zwischen den Zeilen reden musste, immer wieder, unablässig und immer nur den einen, den einzigen Satz: Mea culpa hat ein anderer von uns gesagt! Nicht heute, schon am Dienstag!

Der andere, der sich während der Anhörungen des Flick-Untersuchungsausschusses 79-mal auf Erinnerungslücken berufen musste, war gestern natürlich nicht an jenem Schauplatz, an dem er vor wenigen Tagen noch in wutentbrannter Verfolgten-Pose von nie dagewesenen Verleumdungen sprach, aber schon da wissen musste: Dies ist mein letzter Kampf. Und diesen seinen letzten Kampf, nicht für dieses sein Land, sondern einzig für diesen seinen Ruf soll nun Schäuble auf seine eigenen Schultern laden, und mit ihm die ganze CDU?

Das Elend, die depressive Stimmung, die die CDU-Reihen gestern verströmten, musste Schäuble, nolens volens, verkörpern. Mit tief liegenden Augen, den Kopf fast unablässig auf die verschränkten Hände gestützt, nahm er wahr, wofür er, der widerspenstige Stellvertreter, nunmehr den Kopf hinhalten soll: für die, wie der Obmann der SPD im Untersuchungsausschuss, Frank Hofmann, formulierte, "bestechliche Logik", die er und die Vertreter der Regierungsparteien darin erkennen wollen, dass Kohl mit schwarzen Kassen Einfluss ausüben wollte. Oder waren diese Kassen, so ein böse witzelnder Abgeordneter, ein Zeichen für den überbordenden Altruismus gewisser heutiger Wirtschaftsleute, die einfach ein paar Millionen Mark im Überfluss haben?

Wolfgang Schäuble. Immer wieder Schäuble, gefangen in einer kaum noch zu ertragenen, so scheint es zumindest, inneren Zerreißprobe, in der kaum noch zu bewältigenden Loyalitätsanstrengung zum gefallenen Ehrenvorsitzenden und dem noch viel heikleren Zwang, den Spendenskandal so weit in die Brunnentiefe der Vergangenheit zu senken wie nur eben möglich. Mehrfach beteuerte Schäuble - aggressiv, laut, aber fast glaubhaft, auf jeden Fall mit schmerzlicher Kraftanstrengung, die seinen Körper durchzuckte: "Wir werden alles dazu beitragen, alles, was möglicherweise nicht in Ordnung war, in Ordnung bringen, egal was die Konsequenzen sind!" "Alles" - das war bitter ernst gesagt, aber doch wohl nicht ganz ernst gemeint.

Natürlich wird die CDU nicht ihren Steuerprüfer Horst Weyrauch, den Herrn der D-Mark-Myriaden und D-Mark-Labyrinte, von der Verschwiegenheitspflicht befreien und aus seinem Schattenreich ins grelle Licht des Untersuchungsausschusses zerren. Nein, nicht alles. Auch wenn vielen in der CDU alles danach steht, dem "Dicken" schon jetzt die letzte Parteiölung zu verpassen. Allein schon, um zu retten, was noch zu retten ist.

Ist noch was zu retten? Diese Frage schrie auf, als es einen einzigen Moment in der tumultösen, verschwenderisch emotionsgeladenen Aussprache gab, in dem Ruhe, absolute Ruhe auf den CDU-Bänken herrschte. Das war, als der Abgeordnete der Grünen, Christian Ströbele, in einer an Schimpfwörtern reichen und Aufruhr stimulierenden Rede - ruhig, gelassen, aber gar nicht heiter - fragte: "Wie wollen Sie es der Bevölkerung verkaufen, dass diese ihre mageren Erklärungen der Wahrheit entsprechen und nicht bald schon noch mehr auf sie zukommt?" Diesen harmlosesten aller Sätze fügte Ströbele, der Anwalt, an seine Schilderung der mittlerweile im Filmruf stehenden Szene an, als der frühere Schatzmeister der CDU, Walther Leisler Kiep, in einer Billigpizzeria der Übergabe des Millionenkoffers beiwohnte. Der Einbruch der Bevölkerung, der Bürger, der Schüler in dieses scheinbar schon zum Parteienkampf geronnen Unglücksstück sorgte für Stille: Was, wir waren eben nicht alleine?

Rüdiger Scheidges

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