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Politik: Was dürfen wir uns leisten?

DEUTSCHER PATRIOTISMUS

Von Hellmuth Karasek

Die schönste, die edelste Nation sei die Resignation – so hatte Wiens Komödiengenie, der große Satiriker Nestroy, im Nachmärz und Partikularismus des 19. Jahrhunderts geseufzt. Danach könnten wir auch jetzt fast die schönste Nation sein, Weltmeister im Klagen und Unken, mit Bürgern, die ihre Regierung und die Opposition für unfähig halten, die Probleme des Landes auch nur richtig anzupacken. Wir haben eine bedrohlich verschobene Bevölkerungspyramide, wir schwimmen in einer Bildungskatastrophe, unsere Wirtschaft lahmt unter Struktur und Motivationsproblemen, und wenn auch von Zeit zu Zeit ein Ruck gefordert wird: Er geht nicht wirklich durchs Land.

Während es uns noch gut geht, geht es uns nicht gut. Und das ist keine Zeit für Patriotismus, denn der, nicht wahr!, hängt mit Stolz, mit Optimismus, mit Zukunftsglauben zusammen, damit, dass wir uns „zusammenreißen". So war es unser Wirtschaftsminister, der den Reformwillen mit einem Aufruf zum Patriotismus schüren wollte. Schon der Kanzler hatte in seiner Regierungserklärung Kennedy variiert: Wir sollten danach trachten, was wir für unser Land leisten können, und nicht nur danach schielen, was das Land für uns leisten könne. Man kann darin eine Absage an den sozialen Anspruchsstaat sehen.

Patriotismus – der 9. November ist kein schlechter Anlass, sich darüber Gedanken zu machen. Im Guten wie im Bösen. Denn der 9. November birgt mancherlei: den Fall der Mauer und die Wiedervereinigungseuphorie, die sich zunächst in dem ungläubigen Ausruf „Wahnsinn" manifestierte. Er birgt die Revolution von 1919, den Hitlerputsch von 1923, mit dem der künftige „Führer“ die Taten der „November-Verbrecher" auslöschen wollte, die „Reichskristallnacht" von 1938, die das Brandzeichen des Völkermordes an den Juden war.

Seitdem muss der deutsche Patriotismus auch mit Auschwitz fertig werden, und der zynisch bittere Satz, dass die Deutschen den Juden Auschwitz nie verzeihen könnten, wird im Augenblick in unguten nationalistischen Blähungen deutlich, siehe den CDU-Mann Martin Hohmann und den ihm applaudierenden General Reinhard Günzel.

Aber auch sonst tut sich der Patriotismus schwer, und wir sollten ihm das nicht verargen, denn er musste sein Bündel der Geschichte tragen. Patriotismus, wohlverstandener, zukunftsgerichteter, das konnte in Deutschland nur heißen, mit Nachbarn Freundschaft zu schließen, trotz der Vertreibung und wegen ihr. Geben wir es zu – wir haben sie eigentlich auch nur auf Grund unseres Wirtschaftswunderkraftaktes ohne gewaltsame Verwerfungen gemeistert.

Patriotismus, das war aber bis 1989 – Anerkennung der Teilung, um des Weltfriedens willen, und weil wir Deutschen vom Krieg wirklich die Nase voll hatten. Sein Credo war der wirtschaftlich-soziale Aufschwung, seine Definition lief über die Verfassung (Habermas), über die Rechtsstaatlichkeit. Jetzt, wiedervereint und noch dazu in Europa gebettet, könnten wir auch an unserem historischen Patriotismus arbeiten – wenn, ja wenn nicht soziale Verwerfungen, Zukunftsängste und das verlorene Vertrauen in die Regierenden wäre. Bleiben wir die Nation der Resignation?

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