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Politik: „Was haben Sie heute für Deutschland getan?“

Frankreichs Präsident Chirac vertritt Kanzler Schröder zum ersten Mal bei einem EU-Gipfel – und fährt demonstrativ im Audi vor

Von Thomas Gack, Brüssel,

und Sabine Heimgärtner, Paris

Die Frage war demonstrativ auf Deutsch gestellt, aber mit britischer Ironie getränkt: ,,Was, bitte, haben Sie heute als Vertreter der deutschen Regierung für Deutschland getan?" fragte der Brüsseler BBC-Korrespondent den französischen Staatspräsidenten bei der Abschlusspressekonferenz des Europäischen Rats in Brüssel. Dass sich die politische Gipfelfusion zwischen Deutschland und Frankreich bei der Sprache noch nicht vollzogen hat, zeigte die Reaktion von Jacques Chirac. Frankreichs Präsident schaute fragend in die Runde. Er versteht zwar, so erzählen seine Mitarbeiter, einige Worte Deutsch. Die britisch gefärbte Frage war aber offenbar für französische Ohren voller linguistischer Rätsel. Sie musste übersetzt werden.

Der Chefdolmetscher des Elysée, Edgar Weiser, hatte am Freitag pausenlos zu tun. Erstmals in der Geschichte des Europäischen Rats vertrat Frankreichs Staatspräsident den deutschen Bundeskanzler in der Gipfelrunde. Erstmals hatte Chirac deutsche Diplomaten und Beamte in seinem Gefolge. Und vor dem Ratsgebäude fuhr er im deutschen Audi vor.

Gerhard Schröder und sein Außenminister waren schon am Vorabend abgereist. Sie mussten in Berlin bei der Abstimmung über ihre Reformvorhaben die rot-grüne Koalition zusammenhalten. Dass sie sich in Brüssel durch ihn vertreten ließen, sei ein ,,schönes Zeichen des Vertrauens und der Freundschaft“, sagte Chirac. Könne er einmal nicht anwesend sein, werde er nicht zögern, sich vom deutschen Kanzler vertreten zu lassen.

Das ungewöhnliche Zusammenspiel begann schon am frühen Freitagmorgen. Nach dem Treffen der deutschen Spitzendiplomaten, die bei EU-Gipfeln gewöhnlich den Kanzler präparieren, fuhren EU-Botschafter Wilhelm Schönfelder und der europapolitische Kanzlerberater Reinhard Silberberg zu den Franzosen. Dort brachten sie die Wünsche vor, die der Präsident in der Gipfelrunde vertreten sollte.

Er sei ,,gewissermaßen als Sprecher des Bundeskanzlers“ aufgetreten, sagte Chirac am Rande des Treffens. Um den deutsch-französischen Schulterschluss augenscheinlich zu machen, wurde auf Bitten Chiracs ein vierter Sessel in den Sitzungssaal gebracht. Silberberg konnte so an der Seite des französischen Präsidenten den Schlussverhandlungen folgen.

In Frankreichs Presse rief der Schachzug zufriedene Heiterkeit hervor. „Chirac macht den Schröder“, schrieb „Le Parisien“, „Chirac als Doppelkopf“, amüsierte sich „Le Figaro“. Auch vom französischen „Teilzeit-Kanzler“ war zu lesen, und da und dort vollzog man das „Job Sharing“ gleich im Namenszug „Gerhard Chirac“. Für den sozialistischen Abgeordneten Jaques Floch war es, wie er dem Tagesspiegel sagte, eine „sehr interessante Premiere", das „alte deutsch-französische Paar" sei immer noch gut für Überraschungen. Er sieht darin den Beweis für großes Vertrauen und dafür, dass die deutsch-französische Zusammenarbeit funktioniert.

Konservative Politiker warnten hingegen davor, die symbolische Geste könne die kleinen Beitrittsländer erneut in Rage bringen, die Furcht vor einer „Union in der Union“ noch mehr schüren und so die erhoffte Zustimmung für die künftige EU-Verfassung weiter erschweren. Philippe Villiers von der rechtskonservativen „Bewegung für Frankreich": „Grotesk und gefährlich, was Deutschland und Frankreich hier inszenieren.“

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