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Politik: Was kann die Bundeswehr im Ausland tun, Herr Scharping?

Ob im "Scheibenwischer" oder im Karneval, Rudolf Scharping wird verspottet. Der Verteidigungsminister sieht es als Herausforderung: Politiker müssen Gegenwind ertragen, sagt er.

Ob im "Scheibenwischer" oder im Karneval, Rudolf Scharping wird verspottet. Der Verteidigungsminister sieht es als Herausforderung: Politiker müssen Gegenwind ertragen, sagt er. Wie 1994, als er nicht Kanzler wurde. Oder 1995, als Oskar Lafontaine ihn von der Parteispitze verdrängte. Gegenwärtig durchlebt der 54-Jährige eine ungewöhnliche Ballung von Skandalen und Skandälchen. Da waren die Plansch- und die Mallorca-Flug-Affäre, gleich zwei angebliche Geheimnisverrate (Mazedonien-Routen und Somalia-Einsatz), das Gezerre um die Finanzierung des Militär-Airbus, und dann ist da Bernhard Gertz, der Chef des Bundeswehr-Verbandes, der Scharping als "Witzblattfigur" und "lame duck" bezeichnet. Eine "lahme Ente", das ist ein Politiker, dessen Amtszeit ausläuft. Scharping selbst sagt, er sei zum "Blitzableiter" geworden. Und was Amtszeiten angehe, bleibe letztlich nur jener, der Gegenwind aushalte. So wie er.

Herr Minister, in der zurückliegenden Woche wurden deutsche Soldaten im Rahmen des Anti-Terroreinsatzes nach Kenia verabschiedet. Deutsche Soldaten in Europa, in Asien, in Afrika - wo soll das enden?

Wir haben tatsächlich eine Grenze erreicht und werden unsere Soldaten und ihre Familien nicht noch stärker fordern können. Alle internationalen Einsätze haben aber ein gemeinsames Ziel. Sie dienen der Sicherheit unseres Landes und des europäischen Kontinents, der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger, der Stärkung weltweiter Sicherheit und internationalen Rechts.

Das ist uns ein bisschen zu abstrakt.

Zum Thema Umfrage: Bundeswehreinsatz in Afghanistan abbrechen? Dokumentation: Die Bundeswehr im Einsatz Fotostrecke: Deutsche Soldaten in Afghanistan Hintergrund: Bei Auslands- einsätzen getötete Bundeswehrsoldaten Das ist überhaupt nicht abstrakt. Auf dem Balkan geht es um die friedliche Entwicklung Südosteuropas, die Vermeidung neuer kriegerischer Auseinandersetzungen, neuer Flüchtlingsströme. Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus liegt im Interesse unserer ureigensten Sicherheit. Man darf ja nicht vergessen, dass auch in Deutschland Verdächtige verhaftet wurden und große Mengen von Waffen und Sprengmitteln und konkrete Hinweise auf geplante Anschläge hier mitten in Europa gefunden wurden. Die fundamentalistische Zelle, die direkt für die Anschläge in den USA auf das World Trade Center und das Pentagon verantwortlich ist, hat jahrelang verdeckt in Hamburg gelebt. Die Liste ließe sich verlängern.

Sie sagen: Die Grenze ist erreicht. Es gibt Leute, die sagen: Sie ist schon überschritten. Haben Sie manchmal ein schlechtes Gewissen, mutet die Politik den Soldaten zu viel zu?

Wenn Sie das in der Bundeswehr erörtern, werden Sie auf Unverständnis stoßen. Ich war am vergangenen Sonntag zum Beispiel mit Ehefrauen von Soldaten aus den Spezialkräften zusammen. Die sagen mir: Unsere Männer wissen, was sie können, wissen um ihre hervorragende Ausrüstung, wollen etwas tun für die Sicherheit anderer und dabei ihr Können und ihre Professionalität unter Beweis stellen. Was sie übrigens tun.

Das ist die eine Seite. Eine andere liest man im Bericht des Wehrbeauftragten oder im Bericht des Ausbildungsbeauftragten. Da erscheint das Bild einer Armee, die auf Veränderungsstress im Inland, Warten auf sichtbare Verbesserungen und Einsatzstress im Ausland zunehmend allergisch reagiert.

Man muss diese Dinge sehr differenziert betrachten. Die Erneuerung der Bundeswehr ist in vollem Gange. Sie verläuft sehr gut. Aber diese Erneuerung ist auch eine Zusage an die Menschen in der Bundeswehr, ihre Leistung und Motivation. Das wird zum Beispiel in diesem Jahr dazu führen, dass in der Bundeswehr 42 000 Menschen befördert werden, also auch mehr Geld bekommen.

Wieso stehen dann Klagen über, sagen wir, Knickerigkeit der Politik in den Mängelberichten ganz weit oben?

Weil das notwendige und ernst zu nehmende Mängelberichte sind, aber keine Zustandsbeschreibung - ich zitiere gerade den Wehrbeauftragten selbst. Wenn jedoch unsere Bundesregierung beschließt, den Stau in Beförderung und Verwendung aufzulösen, der sich in den letzten 15, 20 Jahren aufgebaut hat, und wenn das Datum sich dann um ein halbes Jahr verschiebt - also, wenn ich Feldwebel oder Kompaniechef wäre, wäre ich zwischen 1. Juli 2001 und 1. Januar 2002 auch sauer gewesen. Über eine solche Verzögerung kann niemand fröhlich sein. Aber jetzt sind alle diese Maßnahmen beschlossen und verwirklicht, im Interesse der Produzenten unserer Sicherheit - und das ist gut so.

Der Frust betrifft aber ja nicht nur Geld und Dienstgrade. Auch was Material und andere Arbeitsbedingungen angeht, hat zum Beispiel der General Löchel regelrechte Misstrauenserklärungen gehört nach dem Motto: Die in Berlin reden viel, aber bei uns hier unten ändert sich gar nichts.

Ich verstehe die Erwartung sehr gut. Aber zwischen 1994 und 1998 hat die Bundeswehr einen historischen Tiefstand bei Investitionen und moderner Ausrüstung erlebt. Man hatte nur reduziert, nicht investiert. Schlimmer noch: Aus den beschlossenen Haushalten wurden danach weitere drei Milliarden und mehr rausgeschnitten. Das hat sich grundlegend geändert. Die Investitionen sind heute um 30 Prozent höher, und das jedes Jahr. Wir sind auf dem Weg und werden das Ziel einer modern gerüsteten Bundeswehr erreichen.

Davon merkt nur an der Basis offenbar keiner etwas. Der Wehrbeauftragte Penner spricht von "Stimmungstief" und dem verbreiteten Eindruck, es gehe nicht voran.

Ich bin nun wirklich der Letzte, der Mängel zum Beispiel in der Ausrüstung der Bundeswehr bestreitet. Schon vergessen, wie oft ich darüber geredet habe, dass die Fahrzeuge älter sind als die Menschen, die draufsitzen? Aber ich will Ihnen noch etwas sagen: Es gibt eine mir nur noch durch parteipolitischen Kleinkram und Wahlkampf erklärbare Differenz zwischen der internationalen Wahrnehmung der Bundeswehr und der innenpolitischen Debatte. Warum rufen alle Parteien in Mazedonien nach einer Fortsetzung des Engagements der Bundeswehr - weil wir so schlecht sind? Warum sagen uns alle Leute, bleibt bitte in Bosnien und im Kosovo - weil wir so schlecht sind? Warum sind bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus Spezialisten der Bundeswehr so wichtig - in der Aufklärung, der ABC-Abwehr, bei den Spezialkräften? Weil wir so schlecht sind? Das ist doch absurd.

Aber die Kritik und die Zweifel kommen ja nicht nur von der Opposition, sondern aus der Truppe selbst. Hat die Politik da vielleicht ein Vermittlungsproblem?

Das ist kein Vermittlungsproblem, das ist ein Substanzproblem. Ich habe kürzlich mit Kommandeuren geredet. Die sagen: Gott sei Dank haben wir nicht mehr die Situation wie früher, als wir in jedem Herbst die Übungen und die Ausbildungen praktisch einstellen mussten, weil kein Geld mehr da war. Man muss realistisch einräumen: Im Heimat- und Friedensbetrieb der Bundeswehr gibt es unverändert Schwierigkeiten. Das ist ja unbestreitbar. Aber wenn - nur ein Beispiel - der Haushaltsausschuss in dieser Woche das neue Flottenmanagement billigt, dann können wir dieses Jahr beginnen, eine überalterte und viel zu große Fahrzeugflotte mit einem Durchschnittsalter von elf Jahren bei den Pkws und von 16 bis 20 Jahren bei den Lkws und Bussen grundlegend zu erneuern. Das wird dann innerhalb von fünf bis sechs Jahren geschehen. Das ist ein Beispiel. Es zeigt, dass es auch in einem wachsenden Verteidigungshaushalt darum geht, von Steuergeldern sparsamen und wirtschaftlichen Gebrauch zu machen.

Der Wehrbeauftragte berichtet auch, dass Soldaten am Sinn ihrer Einsätze zu zweifeln beginnen, konkret auf dem Balkan nach dem Motto: Wir hindern hier die Leute daran, wieder aufeinander zu schießen, aber wo bleibt die politische Perspektive?

Der Wehrbeauftragte hat völlig zutreffend auf Fragen nach dem Verhalten der internationalen Staatengemeinschaft und der langfristigen Perspektive zum Beispiel in Bosnien oder im Kosovo hingewiesen. Solche Fragen stelle ich mir allerdings auch - wenn ich zum Beispiel sehe, dass im Kosovo im November gewählt worden ist und man bis März braucht, um eine Regierung für die Provinz zusammenzubringen. Ich habe bei rund zwanzig Besuchen auf dem Balkan auch immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass keine Kultur der Abhängigkeit entstehen darf. Andererseits gibt es unbestreitbare Fortschritte im politischen und zivilen Prozess. Die müssen sich auch widerspiegeln im Umfang der Streitkräfte, die wir zur Verfügung stellen. Ich gehe davon aus, dass es im Rahmen der halbjährlichen Überprüfung eine substanzielle Reduzierung in Bosnien und im Kosovo geben kann.

Reicht das als Antwort auf die Sinnfrage - oder haben wir es nicht schon wieder mit einem Vermittlungsproblem zu tun?

Aber einsichtig machen, Ziele verdeutlichen, argumentieren und entscheiden - das ist doch Demokratie. Die internationale Staatengemeinschaft hat sich in Bosnien viel zu spät engagiert. Das Ergebnis waren über 200 000 Tote und über 300 000 Flüchtlinge allein in Deutschland. Im Kosovo hat man sich gerade noch rechtzeitig zum Eingreifen entschlossen. Die Menschen hatten die Hoffnung, dass dieses Eingreifen ihnen die Rückkehr in ihre Heimat, in ihre Dörfer ermöglicht. Also blieben sie in Albanien und in Mazedonien. Das war für diese Länder eine ungeheure Last. Aber nach Deutschland kamen nur wenig mehr als 20 000 Flüchtlinge.

Das ist ein direkter Zusammenhang. Bei Einsätzen in ferneren Weltgegenden wird die Begründung schon sehr viel abstrakter...

Eines ist ja richtig: Innerhalb der letzten drei Jahre hat sich das militärische Engagement verfünffacht. Das begann mit Bosnien und Georgien, wurde erweitert um Kosovo, Mazedonien, östliches Mittelmeer, arabische Halbinsel, Horn von Afrika, Afghanistan. Das ist eine sehr, sehr schnelle Entwicklung. Sie beinhaltet ein Risiko, das jede verantwortliche Politik sorgfältig im Auge behält: Mit der Geschwindigkeit der Entwicklung können die Emotionen oft nicht ganz Schritt halten, also das, was ich mal den politischen Verdauungsprozess nennen möchte.

Dann leisten Sie uns doch bitte ein bisschen Verdauungshilfe. Reden wir von konkreten Einsätzen. Erstens: Afghanistan. Sie haben gerade dem afghanischen Übergangs-Regierungschef Karsai gesagt, Deutschland könne sein Bundeswehr-Engagement weder über Kabul hinaus noch inhaltlich weiter ausdehnen. War das das letzte Wort?

Ja.

Reicht das für die Zukunft Afghanistans?

Politik ist ja weitaus umfassender zu sehen. Es geht in Afghanistan um die Entwicklung der Landwirtschaft, des Gesundheitswesens, des Erziehungswesens, um wirtschaftliche und finanzielle Hilfe. Diese geschundene Stadt Kabul ist in weiten Teilen ein Trümmerhaufen. Vielleicht zehn Prozent der Bevölkerung ist an Wasserversorgung und Kanalisation angeschlossen. Da ist unglaublich viel zu tun. Die militärische Präsenz soll die Sicherheit unterstützen. Aber wir können das Engagement nicht ausweiten.

Auch dann nicht, wenn, wie Sie sagen, auf dem Balkan substanziell reduziert würde?

Das hat nichts miteinander zu tun.

Weiter in den Einsätzen: Deutsche Marine am Horn von Afrika. Wie lautet ihr Auftrag?

Sammeln von Informationen über internationalen Terrorismus und Gewährleistung der Freiheit und Sicherheit von Seewegen.

Wie viele Schiffe hat denn die Bundesmarine dort bisher kontrolliert oder am Weiterfahren gehindert?

Es gibt Dutzende von Meldungen über versuchte Fälle von Piraterie...

Aber Piraten sind doch keine Terroristen?

Im Voraus kann man das aber nie wissen. Wenn ein Speedboot auf ein Handelsschiff zurast und niemand weiß, ist das Boot voller Sprengstoff oder ist das nur voller Räuber - wollen Sie es darauf ankommen lassen? In diesem Teil der Welt sind kriminelle, terroristische Aktivitäten und private Piraterie schwer zu entwirren. Da ist Vorsorge besser. Ich möchte nicht den ersten Öl- oder Gastanker in die Luft fliegen sehen. Schon gar nicht möchte ich erleben, dass Schwerstverbrecher wie Osama bin Laden übers Meer abhauen oder neue Terrorgruppen entstehen, nur weil wir nachlässig oder bequem sind.

Dritter Einsatzort: Kuwait. Die deutschen ABC-Panzer "Fuchs" haben eine Katastrophenübung in der Wüste gemacht, und jetzt stehen die "Füchse" weiter dort. Warum?

Wenn eine Süßwassergewinnungsanlage verseucht wird, wollen wir Katastrophenschutz gewährleisten. Da muss man schnell vor Ort sein. Und man beginnt mit dem Aufbau der Feuerwehr nicht erst, wenn es brennt.

Nun liegt Kuwait direkt neben Irak ...

Hier in Deutschland schüren einige im Gewande des Besorgten die Befürchtung, Deutschland könne in eine militärische Auseinandersetzung mit dem Irak einbezogen werden. Das übersieht die rein defensiven Fähigkeiten der ABC-Abwehr, es übersieht das Mandat des Deutschen Bundestages, es übersieht den erklärten Willen der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages. Und es übersieht etwas Grundlegendes. Natürlich stellt der Irak ein ernstes Problem dar. Er hat Massenvernichtungswaffen eingesetzt gegen den kurdischen Bevölkerungsteil im Irak. Er will sich womöglich in den Besitz von Massenvernichtungswaffen bringen. Die beste Antwort darauf ist ein möglichst koordiniertes internationales Vorgehen. Wir brauchen möglichst umfassenden politischen Druck, um den Vereinten Nationen die Möglichkeit von Waffen-Inspektionen im Irak wieder zu eröffnen. Wer da am militärischen Ende beginnt, der beginnt am falsche Ende.

In den angelsächsischen Ländern, den USA und Großbritannien, wird über dieses Ende aber längst öffentlich debattiert.

Aber die Regierungen dort haben keine Entscheidungen getroffen oder militärisch-operative Planungen begonnen. Und wir reden über deutsche Politik. Die ist vorbeugend und umfassend, nutzt die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Kräfte unseres Landes. Militärische Fähigkeiten sind "letzte Mittel" - und spielen bei diesem Thema keine Rolle.

Herr Minister[in der zurückliegenden Woche w]

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