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US-Präsident Barack Obama bei der Ankunft in Berlin-Tegel.

© dpa

Was Obama hinterlässt: Ich bin kein Berliner

Anders als John F. Kennedy wird Barack Obama keine Spuren im Gedächtnis der Berliner hinterlassen - daran ändert auch sein Besuch nichts. Ein Gastkommentar.

Als Barack Obama im Zuge seines Wahlkampfes 2008 vor dem Brandenburger Tor sprechen wollte, machte ihm Angela Merkel einen Strich durch die Rechnung. Zu offenkundig war das Ansinnen des Senators aus Illinois, sich vor historischer Kulisse und für ein US-Publikum medienwirksam in eine Linie mit John F. Kennedy zu stellen, der den Berlinern bereits 1963 versichert hatte, einer von ihnen zu sein. Statt am Brandenburger Tor sprach Obama schließlich vor der Siegessäule. Rund 200.000 begeisterte Berliner strömten dorthin, um ihn zu hören. Das Verhältnis Obamas zur deutschen Kanzlerin galt danach vorübergehend als angespannt. Nach Berlin kam er als amerikanischer Präsident erstmalig im Jahr 2013.

Jetzt besucht Obama Berlin erneut. Es ist seine Abschiedsvisite als US-Präsident. Mit Begeisterungsstürmen ist diesmal allerdings nicht zu rechnen. Das Verhältnis der Berliner zu dem Mann, den sie einst als den neuen Kennedy bejubelt hatten, hat sich merklich abgekühlt. Ganz anders die Beziehung Obamas zu Merkel. Aus der anfänglichen Distanz ist mit der Zeit eine Vertrautheit erwachsen, die US-Kommentatoren gar von einer „love relation“ schwärmen lässt.

Wie konnte es zu einer so gravierenden Verschiebung in der Wahrnehmung des 44. US-Präsidenten kommen?

Obama als Anhänger einer globalen Drohnenstrategie

Fraglos resultierte die Begeisterung der Berliner für Obama zu einem Gutteil aus der Abneigung gegenüber George W. Bush. Obamas Versprechen, das Gefangenenlager Guantanamo schließen zu wollen, brachte ihm zu Beginn seiner Amtszeit sogar den Friedensnobelpreis ein – eine Entscheidung, die das Nobelpreiskomitee heute vermutlich nicht noch einmal so treffen würde. Guantanamo gibt es bekanntlich immer noch, wenngleich die Zahl der dort Internierten zurückgegangen ist. Auch der angekündigte Rückzug der USA aus dem Irak und Afghanistan verlief zögerlicher, als mancher hierzulande sich das gewünscht haben dürfte. Stattdessen entpuppte sich Obama im Krieg gegen den Terror als Anhänger einer globalen Drohnenstrategie, die der CIA bei der Beseitigung potentieller Staatsfeinde weitgehend freie Hand ließ.

Das Fass zum Überlaufen brachte schließlich der NSA-Skandal, in dessen Verlauf die systematische Überwachung unzähliger Internetdaten durch den US-Geheimdienst offenkundig wurde. Auch die Kanzlerin sowie zahlreiche weitere deutsche Politiker, Institutionen und Unternehmen gehörten zu den Abgehörten. Bis heute weigert sich die Obama-Administration, einer Offenlegung der Selektoren, die Aufschluss über Umfang und Inhalte der Spionage zuließen, zuzustimmen.

Als Obama in diesem Frühjahr im Beisein der Kanzlerin die Hannover Messe eröffnete, kam es vor dem Messegelände zu Protesten. Denn Obama hatte es nicht nur versäumt, seinen Geheimdiensten im Ausland Grenzen zu setzen, sondern sich darüber hinaus auch für den Abschluss eines Freihandelsabkommens zwischen den USA und der EU (TTIP) stark gemacht. Die Ablehnung von TTIP brachte in Berlin gut 70.000 Menschen auf die Straße.

All diese Faktoren haben dazu geführt, dass vom einstiegen Mythos Obama nicht viel übriggeblieben ist. Allerdings sagt die Ernüchterung mehr über die Berliner und deren Erwartungen aus, als über Obama. Dieser hat genau das getan, was jeder andere US-Präsident vor ihm, Kennedy eingeschlossen, auch getan hat: Konsequent amerikanische Interessen verfolgt und durchgesetzt.

Der Unterschied zwischen Kennedy und Obama liegt in den Zeitumständen. Als Kennedy Präsident war, war Berlin Frontstadt des Kalten Krieges. Die Interessen der USA waren weitgehend deckungsgleich mit denen Berlins. Das verdeutlichte die Berlin-Krise, als Chruschtschow versuchte, die geteilte Stadt in Gänze dem sowjetischen Einflussbereich einzuverleiben. Kennedy widersetzte sich und sicherte so die Freiheit West-Berlins. Dass derselbe Kennedy zwei Jahre später den Mauerbau mit Erleichterung aufnahm, weil er die Spannungen zwischen Ost und West vorübergehend neutralisierte, steht auf einem anderen Blatt; Kennedys Beliebtheit hat dies keinen Abbruch getan. 

Obama wollte gar nicht in die Rolle Kennedys schlüpfen

Anders bei Obama: Sein Amtsantritt 2008 ging einher mit einer Neuausrichtung der strategischen Leitlinien der US-Außenpolitik. Nicht länger Europa und der Mittlere Osten standen fortan im Fokus der US-Administration, sondern der Asien-Pazifik-Raum. Deutschland und Europa waren für die USA allenfalls noch als Handelspartner interessant; und Berlin kaum mehr als der Ort, an dem die mächtigste Frau Europas und zugleich eine treue Verbündete der USA residiert. Ob sich das in Folge der neuerlichen Spannungen zwischen dem Westen und Russland noch einmal ändern wird, bleibt abzuwarten – wünschen sollte man es sich eigentlich nicht.

Angesichts der geopolitischen Gemengelage hatte Obama somit nie eine realistische Chance – und auch gar kein Interesse daran –, in die Rolle eines neuen Kennedys zu schlüpfen. Selbst wenn sich das so mancher Berliner bei seinem Amtsantritt erträumt haben mochte. Ein herausgehobener Platz in der Erinnerung der Stadt wird Obama nicht zuteilwerden. 

Merkel war dank ihres Realitätssinns vor derlei Illusionen von Anfang an gefeit. Der anfänglichen Obama-Euphorie begegnete sie mit Zurückhaltung. Um anschließend eine vertrauensvolle Arbeitsbeziehung mit dem US-Präsidenten zu etablieren, die selbst zu Hochzeiten des NSA-Skandals nie ernsthaft zur Disposition stand.

Der Autor ist Historiker und arbeitet für ein Industrieunternehmen.

Florian Keisinger

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