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Politik: Was Rühe und Koch haben - und was Merkel und Merz fehlt (Kommentar)

Es gibt noch Geheimnisse in der Politik. Leider zwingt uns die CDU, über eines zu reden.

Es gibt noch Geheimnisse in der Politik. Leider zwingt uns die CDU, über eines zu reden. Nennen wir es das Der-Bischof-glaubt-nicht-an-Gott-Problem.

Die Demokratie braucht Parteien. Folglich müssen die Politiker sich nach irgendeinem Schema aufteilen. Nur, seit die Ideologien abgewirtschaftet haben, seit die Milieus zerfallen sind, seit der Kalte Krieg vorbei ist, seit das Links-Rechts-Schema sinnlos wurde, seit die SPD nicht mehr sozialistisch ist, die CDU nicht mehr christlich, die Grünen kaum noch grün - seit neuestem also, haben unsere Parteien keinen rechten Sinn mehr.

Unglücklicherweise funktionieren sie nicht ohne die Arbeitshypothese, in der je eigenen Partei sei im Durchschnitt die Moral höher, seien die Konzepte besser, sei Zahl der kompetenten Politiker größer als bei denen da, den anderen, denen wir beizeiten aufs Haupt schlagen müssen. Dass diese Unterstellung wahrheits- und vernunftwidrig ist, wissen auch Parteimitglieder. Darum brauchen sie so dringend Personen, die diese gefährliche, selbstzerstörerische Wahrheit, die da im Parteiinneren lauert, überdecken.

Diese Personen erkennt man daran, dass sie gerade dann zu großer Kampfform auflaufen, wenn die eigene Position geistig unhaltbar und moralisch zweifelhaft ist. Dann ersetzt der Gestus den Gehalt, dann überschreit man die Bindungsschwäche. Die SPD hat solche Typen, allen voran: Franz Müntefering. Man kann ihm nicht gut zuhören, wenn man kein Genosse ist. Aber er schafft es: Politik als Kraftsport.

Und die moralisch angeschlagene, der Regierung konzeptionell unterlegene CDU? Roland Koch hat seine 97-prozentige Bestätigung bekommen, gerade weil er Fehler gemacht hat. Das gab ihm Gelegenheit eine Right-or-wrong-my-party-Rede zu halten. Darin hat er immer wieder einen Schlachtruf variiert: Wir dürfen denen das Land Hessen nicht überlassen. Ja Gott, warum nicht? Roland Koch kann immerhin fingieren, woran Manfred Kanther noch fest glaubte: dass die anderen ganz gefährliche Figuren sind.

Volker Rühe ist aus demselben Holz. Immerzu geht er kämpferisch umher, ohne dass man genau weiß, wofür er gerade kämpft. Immer blickt er entschlossen in einen Sturm, auch wenn er nur auf dem Weg zur Reichtagskantine ist. Taktisch macht er zwar gerade einen herben Fehler, indem er die Wahlen in Schleswig-Holstein zu einer Volksabstimmung zwischen sich und Angela Merkel umfunktioniert. Doch mit dem CDU-Skandal geht er ähnlich um wie Koch: schärfstmögliche Angriffe auf den Gegner. Und die Kleinkriminellen. Die Kleinkriminellen? Gestern verkündete er sein Sofortprogramm. In der Agenturmeldung heißt es: "Unter einer von Volker Rühe geführten Landesregierung wird es keine Signale dahin geben, der Gesetzestreue sei der Dumme. Auch Bagatelldelikte - beispielsweise Ladendiebstahl unter 100 Mark - sollen geahndet werden." Ja, mit Kleinkriminellen gibt sich ein Christdemokrat nicht ab.

Ganz so gut könnte Angela Merkel das nicht, und der designierte Fraktionschef Friedrich Merz wohl auch nicht. Beide sind sie zu nüchtern, zu überlegt und vor allem: Ihr Auftreten und ihre Körpersprache verraten, dass sie nur ungern bereit sind, für ihre Parteilichkeit ihre gewöhnlichen Maßstäbe aufzugeben. Wenn Merkel mal so richtig scharf die SPD angreift, dann klingt das nach Pflicht. Und wenn Merz es tut, überlegt. Das beeindruckt allenfalls die Medien und die Bürger, doch reicht es nicht für die verständlichen Rauz-Bauz-Bedürfnisse der Union. Merkel und Merz stehen für kühle Sachlichkeit, für die kommende Nüchternheit. Rühe und Koch stehen für Kamerad- und Genossenschaft, für eine vergehende Gefühligkeit.

Die CDU braucht einen wie Rühe. Nur wo? Müntefering ist Generalsekretär.

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