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Politik: Was Sawis nicht lernt

JUNGE INTENSIVTÄTER

Von Werner van Bebber

Es geschieht nicht oft, dass ein 16jähriger polizeibekannter Jugendlicher auf einem Schulhof mehrere Lehrer niederschlägt. Weil so etwas so selten ist, hat der Fall Sawis J. großes Aufsehen erregt. Und weil der Fall – wie andere „Intensivtäter“-Fälle auch – die Leute aufregt, hat die Justiz rasch reagiert. Sawis J. ist ungewöhnlich schnell verurteilt worden, zwei Monate, nachdem er versucht hatte, das Faustrecht auf dem Schulhof wiedereinzuführen. Sein Richter aber beließ es bei einer Bewährungsstrafe.

Man könnte sagen: Ab jetzt geht der Fall Sawis nur noch ihn selbst, seine Eltern, seinen Bewährungshelfer und das Jugendamt etwas an. Damit macht man es sich zu leicht. Denn Sawis gehört zu einer Gruppe von Jugendlichen, die ein Fundamentalproblem mit dieser Gesellschaft haben. Keiner weiß, wie viele es sind. Die Polizei spricht von 80 bis 100 allein in einem Großbezirk wie Berlin-Neukölln. Wichtiger als Zahlen ist das, was diese Jugendlichen in ihrem und in anderer Leute Leben anrichten.

Gewiss kommt bei ihnen vieles an Problemen zusammen: familiäre Konflikte in einer fremden Gesellschaft, Schwierigkeiten in der Schule und bei der Suche nach Arbeit. All das bringt die Intensivtäter nachhaltig gegen ihre Umwelt auf. Jugendliche wie Sawis oder der vor ein paar Jahren bekannt gewordene Mehmet haben es aus vielen Gründen nicht leicht – und kompensieren das, indem sie ihr Ego über alles setzen. Deswegen machen sie ihren Willen zum Gesetz. Das funktioniert nur in einer Gesellschaft der Weggucker: Eltern, die sich nicht helfen lassen wollen, Lehrer, die resigniert haben, Jugendamtsmitarbeiter, deren größte Stärke der Glaube an das Gute ist.

Mag sein, dass sogar die Wiederholungstäter unter den kriminellen Jugendlichen irgendwann mit der Gewalt aufhören, die meisten jedenfalls. Doch in der Zwischenzeit arbeiten sie an langen Strafregistern und tyrannisieren harmlose Leute. Sie machen die Erfahrung, dass man vierzig, sechzig Mal von der Polizei einkassiert wird – ohne Konsequenzen.

Denn so werden Jugendliche zu „Intensivtätern“: Sie merken fast so schnell wie Kinder, was passiert, wenn man Grenzen missachtet und ihnen jeden Regelbruch nachsieht. Wenn sie nicht gelernt haben, dass es sinnvoll ist, andere zu achten, tun sie das Gegenteil: Sie verachten die anderen. Was Polizisten heute so viel Sorgen macht, ist die Wahrnehmung einer um sich greifenden Rohheit und Brutalität. Die zeigt sich vor allem in städtischen Problemgebieten. In den politisch korrekten 80er und 90er Jahren hatten kriminelle Jugendliche einen „Migrationshintergrund“ – eine General-Entschuldigung: Sie hatten es auch schwer, denn Deutschland verstand sich nicht als Einwanderungsland. Aber die Weichzeichnung von Regelverstößen hat es den Migranten nicht leichter gemacht, bloß bequemer. Erst jetzt, da mancher Citybezirk von Städten wie Berlin oder Hamburg, Frankfurt oder Köln wie ein Ghetto wirkt, sind sich Politiker aller Parteien einig in der Erkenntnis, dass Leute aus anderen Ländern mindestens die Landessprache lernen müssen.

Doch die kriminellen Karrieren eines Sawis oder Mehmet oder Mahmoud sind nicht mehr mit dem Problemen von Zuwanderern zu erklären. Dafür gibt es viel zu viele Generationsgenossen der kriminellen Ghettokids, die trotz der Schwierigkeiten, die sie bei der Arbeitssuche haben, gut zurechtkommen. Und gerade sie verdienen Schutz vor den Schlägertypen, die mit 16, 17, 18 auf der Straße ihre brutalen Regelsysteme etablieren. Denn die jungen Intensivtäter wirken stilbildend in ihren Ghettos. Ihre Subkultur ist brutal. Wer sie nicht akzeptiert, der blutet. Die Rohheit, die ihr Merkmal geworden ist, macht sie völlig inakzeptabel.

Es hat Jahrzehnte gedauert, bis zivile Umgangsformen verbindlich geworden sind, bis man ohne Prügelstrafe, locker, wenigstens ab und zu mal freundlich miteinander umzugehen gelernt hat. Der Ego-Trip, zu dem sich Jugendliche wie Sawis eingeladen fühlen, muss da zu Ende sein, wo einer seinen Trip mit Gewalt verlängert, ganz gleich wie jung er ist. Staatsanwälte und Polizisten, die bei uns einen Teil der gesellschaftlichen Drecksarbeit machen, haben sich darauf eingerichtet. Nun sollte mancher Jugendrichter seinen Idealismus der Wirklichkeit anpassen. Jungen Schlägern hilft wohl leider nur Jugendhaft.

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