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Politik: „Washingtons Konzept ist gescheitert“

Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul über Lehren aus dem Krieg und die Politik Washingtons

EIN JAHR NACH KRIEGSBEGINN IM IRAK

Frau Ministerin, niemand hat in der Bundesregierung entschiedener vor dem IrakKrieg gewarnt als Sie. Ist die Katastrophe eingetreten, die Sie vorhergesagt hatten?

Die Zahl der Binnenflüchtlinge war glücklicherweise nicht so groß, wie wir glaubten. Unsere Befürchtung, dass der Krieg eine große Zahl von Opfern fordern würde, hat sich leider bestätigt. Auch die Sorge, dass der Angriff Wut, Hass und Ohnmachtsgefühle der arabischen Bevölkerung in der Region provozieren würde, war berechtigt. Das bedeutet, über einen langen Zeitraum wird es im Irak extreme Instabilität geben.

Rot-grüne Politiker sprachen von Hunderttausenden von Opfern, von Hungersnöten, Umweltkatastrophen, der Stabilisierung der gesamten Region, von einem Einbruch der Weltwirtschaft. War das nicht völlig überzogen?

Dass ein Teil der Entwicklungen so nicht eingetreten ist, ist doch gut. Aber es gilt doch auch: Zehntausende mussten sterben. Jeder getötete Soldat, jeder getötete Zivilist, jedes getötete Kind ist ein Opfer, das wir beklagen. Ein solcher Krieg lenkt weltweit ab von zentralen anderen Aufgaben, wie schon UN-Generalsekretär Kofi Annan beklagt hat, vom Kampf gegen Armut, gegen Klimaveränderungen und für bessere Lebensbedingungen.

Sie müssen sich nicht korrigieren? Sie warnten vor einem „In-Brand -Setzen der gesamten Region“?

Das Provozieren von Hass und die Wut bei der arabischen Bevölkerung ist eine hoch gefährliche Entwicklung. Leider gibt es die Destabilisierung, vor der wir gewarnt haben.

Bislang sind keine Massenvernichtungswaffen gefunden worden. Hat die US-Regierung die Welt über die Kriegsgründe getäuscht?

Sie müssen doch nur dem früheren UN-Chefinspekteur Hans Blix zuhören. Tatsache ist, dass jeder Vorwand gesucht worden ist und teilweise Dokumente verwendet worden sind, von denen man wusste, dass sie falsch waren. Für viele der Gründe, die genannt worden sind, haben sich in der Realität keinerlei Belege gefunden. Auch nicht für die Massenvernichtungswaffen.

Sie fühlen sich also bestätigt?

Es geht mir nicht um Rechthaben und schon gar nicht um Genugtuung. Aber gerade wenn man verlangt, dass global Rechtsstaatlichkeit geschaffen wird, muss die Wahrheit gesagt werden. Es muss offen gelegt werden, was an den Vorwürfen dran war.

Was sind Ihre Lehren aus diesem Krieg?

Das Konzept des unilateralen Präventivkriegs ist gescheitert. Die zweite Lehre: Inspektionen funktionieren, und zwar ohne dass dabei Menschen zu Tode kommen. Das ist eine Botschaft, die über den Irak hinaus wichtig ist, wenn man an Länder denkt, die tatsächlich über Massenvernichtungswaffen verfügen.

Zum Jahrestag hat die Union der Koalition vorgeworfen, sie habe den Krieg durch ihr Verhalten wahrscheinlicher gemacht.

Ich bin stolz drauf, dass wir in einer schwierigen Situation alles versucht haben, um den Krieg zu verhindern. In allen Partnerländern höre ich immer wieder das Lob, Deutschland habe damit eine geschichtliche Leistung vollbracht, die auch anderen Mut gemacht habe. Unser Verhalten wird international außerordentlich hoch anerkannt. Wo wäre unser Land, wenn wir uns auf die Strategie von Frau Merkel eingelassen hätten oder die Union die Bundestagswahl 2002 gewonnen hätte? Wir wären heute mit deutschen Soldaten im Irak, auch unsere Soldaten in der Besatzungsarmee würden dort Opfer. Und wir müssten Milliarden von Euro für diesen Krieg bezahlen, ähnlich wie die Regierung Kohl, die sich damals mit 17 Milliarden D-Mark am zweiten Golfkrieg beteiligte.

Die Stabilisierung des Irak ist auch im deutschen Interesse. Ist da nicht auch die Entsendung von Soldaten geboten?

Ich finde es skandalös, dass Frau Merkel sich schon wieder mit dem Vorschlag angedient hat, deutsche Soldaten sollten sich im Rahmen einer Nato-Aktion im Irak beteiligen. Ich sage Ihnen: Es wird weder vor oder nach einem UN-Beschluss deutsche Soldaten im Irak gebe n. Zudem ist es noch völlig unklar, ob die amerikanische Regierung wirklich dazu bereit ist, dass die UN unabhängig im Irak Legitimität schaffen können oder ob sie sie nur als Fassade brauchen will.

Die Fragen stellte Hans Monath.

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