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Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite sieht die EU-Ratspräsidentschaft als Brückenbauer.

© dpa

Wechsel der EU-Ratspräsidentschaft: Premiere für das unerfahrene Litauen

Litauen ist eines der kleinsten Ländern der Europäischen Union. Am morgigen Montag löst die ehemalige Sowjetrepublik Irland ab und übernimmt die EU-Ratspräsidentschaft. Das ist nicht nur eine Premiere für Litauen, sondern für das gesamte Baltikum.

Im Akkord haben die Iren in den letzten Wochen ihrer europäischen Regentschaft Ergebnisse produziert. Entsprechend stolz reichten ihre Diplomaten in den vergangenen Tagen eine Liste mit mehr als 30 Gesetzen herum, die sie in Verhandlungen mit dem Europaparlament zum Abschluss gebracht haben – von A wie Agrarreform bis Z wie Zigarettenschachteln mit Schockbildern. Kurz vor knapp gelang sogar die Einigung auf das 960 Milliarden Euro schwere Mehrjahresbudget der EU. Dass Außenminister Eamon Gilmore in der Woche zuvor schon einmal den Abschluss der Gespräche verkündet hatte, was sich aufgrund der fehlenden Parlamentsmehrheit als Ente herausstellte, blieb die einzige größere Panne der Iren.

Viel Lob ist deshalb in Brüssel zu hören. "Das sind aufrechte Leute, Handschlagtypen", auf deren Wort man sich verlassen könne, lobt beispielsweise der deutsche Parlamentspräsident Martin Schulz. Und im eigenen Haus, dem Ratsgebäude, wo am heutigen Montag umdekoriert wird, heißt es aus dem Umfeld des ständigen Ratspräsidenten Herman Van Rompuy, die Iren hätten "eine beeindruckende Bilanz" vorzuweisen – so beeindruckend, dass nun Premierminister Enda Kenny plötzlich als derjenige gehandelt werde, der die europäischen Christdemokraten als Spitzenkandidat in den Europawahlkampf 2014 und danach die EU-Kommission als Präsident führen könnte. Der Diplomat nennt die Vorzüge: "Er kommt aus einem Krisenland, ist aber aus dem Norden und den Briten vermittelbar – und er hat die Präsidentschaft stark gemeistert."
Die Iren selbst sehen ihre Präsidentschaft als Zeichen dafür, „dass wir nach vielen Jahren der Krise zurück im Geschäft sind“. So sagt es zumindest die Europaministerin Lucinda Creighton, die die vielen Häkchen auf der To-Do-Liste dem krisenbedingten "Jetzt-erst-recht-Geist" zuschreibt.

Litauen im Chefsessel der Gemeinschaft

Dass so viel abgearbeitet wurde, ist aber nicht nur dem Verhandlungsgeschick der irischen EU-Diplomaten zu verdanken – es hat auch ganz praktische Gründe. Zum einen nähert sich nicht nur das Ende der Legislaturperiode, sondern damit auch so manches Dossier mehr der Entscheidungsreife. Hinzu kommt, dass die Zyprer zuvor sehr mit sich selbst beschäftigt waren – entsprechen viel blieb liegen. "Die waren schwach", erinnert sich ein EU-Diplomat an die erste Präsidentschaft der kleinen Mittelmeerinsel. Vor der Premiere der ehemaligen Sowjetrepublik Litauen im Chefsessel der Gemeinschaft gibt es ähnliche Bedenken – zumal nach der Sommerpause keine vier Monate Zeit ist. "Die Litauer haben keine Erfahrung darin, diese europäischen Verhandlungen zu leiten", sagt ein Mitarbeiter Van Rompuys, "das wird eine schwere Prüfung für sie."

Die Litauer selbst benutzen natürlich viel optimistischere Bilder, um ihr erstes Mal zu beschreiben. "Wir wollen eine frische baltische Brise sein", sagt EU-Botschafter Raimundas Karoblis. Außerdem werde sein Land der EU als "Bridge over troubled water", also als Brücke über schwieriges Gewässer dienen. Dafür aber braucht es diplomatisches Gespür. Aufgabe der Ratspräsidentschaft ist es zum Beispiel, die Ministerräte mit Kompromisspapieren vorzubereiten. In der Sitzung selbst wird ganz selten formal abgestimmt – es liegt am Vorsitzenden zum rechten Zeitpunkt die Einigung festzustellen und dabei auch mal ein kleines Risiko einzugehen.

Die erste Ratspräsidentschaft für das Baltikum

Seit 2004 ist Litauen Mitglied der Europäischen Union und mit 3,2 Millionen Einwohnern eines der kleinsten EU-Länder. Es ist die nicht nur die erste Ratspräsidentschaft für das Land, sondern auch für den gesamten baltischen Block. Deshalb setzt Litauen auch die Partnerschaft mit Ostländern als eins der wichtigsten Themen seines halbjährigen Vorsitzes. Es will zum Beispiel Bewegung in Gespräche mit der Ukraine und Georgien bringen. Ende des Jahres könnte dann in Vilnius feierlich die neue Ostpartnerschaft besiegelt werden.

Allerdings ist fraglich, ob Litauen wirklich ausreichend Zeit haben wird, einen eigenen Schwerpunkt zu setzen. Denn Litauen ist die letzte volle Ratspräsidentschaft vor den EU-Parlamentswahlen im Mai 2014 – was bis dahin nicht durch ist, muss mit dem Parlament in neuer Besetzung neu verhandelt werden.  Die Liste abzuarbeitender Dinge ist – obwohl die Iren die schwersten Brocken aus dem Weg geräumt haben – nicht gerade kurz. Die neue Datenschutzverordnung, die weiteren Verhandlungen über die Ausgestaltung der Bankenunion oder die nächsten Schritte bei der  Finanzmarktregulierung dürften dabei Schwerpunkte bilden.

Doch gerade in der Krisenbewältigung sieht Litauen seine besondere Stärke. Es ist eine Art Krisenmanagement-Musterland: Litauen erlitt 2009 einen Einbruch der Wirtschaftsleistung von rund 15 Prozent. Nach umfassenden Reformen konnte es aber 2011 wieder ein Wachstum von 5,9 Prozent und 2012 von 3,2 Prozent vermelden. Mit dem Wissen, dass man durch die Krise gewonnen habe, könne man auch Ländern wie Spanien oder Griechenland helfen – so die Hoffnung Litauens. Auch in anderen Wirtschaftsdaten ist das kleine Land im Nordosten vorbildlich: Die Staatsverschuldung Litauens liegt bei etwas über 38 Prozent, Deutschlands im Vergleich dagegen bei über 81 Prozent. Litauens Motto für das kommende halbe Jahr? "Wir wissen, dass wir viel zu tun haben", sagt Karoblis, "und wir versprechen hart zu arbeiten."

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