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Politik: Wechsel oder Wende?

Von Tissy Bruns

Horst Köhler ist der erste Bundespräsident, der nicht aus dem Gefüge der Parteipolitik kommt. Ein Mann der kühlen Ökonomie, den manche wegen seiner Laufbahn als Finanzexperte in ihm sehen wollten, wird er als Bundespräsident nicht sein. Es ist nicht schlecht für Deutschland, dass der ehemalige Chef des internationalen Währungsfonds sehr gut weiß, wie der ökonomische Druck der Globalisierung den Takt der Welt verändert. Und die Bedingungen, unter denen die Deutschen künftig bestehen müssen – vor allem also die Jüngeren, die nicht mehr auf der sicheren Seite stehen.

Köhler hat die Gelegenheit genutzt, sich mit seiner ersten Rede programmatisch zu zeigen. Und von seiner besten Seite. Denn es liegt ein zwar schlichtes, aber dennoch ein Pathos über der Bundespräsidentenwahl. Verfassungstag. Ein Gewählter, dem man glauben möchte, dass er ein Präsident für alle Deutschen sein will, über den Parteien mit ihrem ewigen Gezänk. Die erste PräsidentenRede war deshalb offen nach allen Seiten. Einen Akzent hatte sie doch: In Sicherheit wiegen will dieser Präsident seine Deutschen nicht. Ein Land der Ideen, die Kraft der Freiheit – das sind schöne und wichtige Formeln für eine Rede. Und schwere Anstrengungen, wenn dieser Weg wirklich eingeschlagen wird. Es war eine kleine historische Momentaufnahme Deutschlands, als Köhler ebenso selbstverständlich wie unbetont sagte, dass er dieses Land liebt.

Köhler ist kein Mann der Parteipolitik, aber seine Wahl zum Präsidenten ist doch ihr Produkt. Als „Frau nach Rau“ hatten SPD und Grüne die unterlegene Kandidatin Gesine Schwan sehen wollen. Eine Präsidentin ist es nun wieder nicht geworden. Aber noch nie hat eine Frau eine Präsidentenentscheidung so stark beeinflusst wie Angela Merkel die Wahl Köhlers. Die CDU-Parteivorsitzende hat mit dem gestrigen Tag ihr Meisterstück in Sachen Macht abgelegt, nicht nur mit der gemeinsamen Nominierung von Union und FDP. Ihr Führungsnaturell hat sie vor allem dadurch bewiesen, dass mit dem Blick nach vorn endet, was mit bösen Schienbeintritten unter Tisch begonnen hat. Das punktgenaue Ergebnis für Köhler beweist noch einmal, welchen Risiken die CDU-Chefin dabei ins Auge sehen musste: Die fehlenden Stimmen aus dem Lager von CDU,CSU und FDP galten eher ihr als dem Kandidaten. Das ändert nichts am machtpolitischen Signal dieses Tages, das Merkel wollte: Die Mehrheiten sind erstens nicht mehr Rot-Grün. Und zweitens hat sich das alte Bündnis von Union und FDP wieder aufgestellt, obwohl die FDP ihren Unabhängigkeitsstrategien offiziell nicht abgeschworen hat.

Und doch: Die Mehrheiten für Horst Köhler drücken das Kräfteverhältnis im Land aus. Eine geglückte Operation. Aber ein Gefühl von Wende, von Alternative, will sich nicht einstellen. Bei der Wahl von Theodor Heuss oder Gustav Heinemann wurde mit den Bundespräsidenten über Richtungen entschieden. Die Mehrheit für Köhler ist in erster Linie Ergebnis einer Erosion der rot-grünen Regierungsmacht. Die hat den Reformweg längst eingeschlagen, den der neue Bundespräsident von Deutschland erwartet, kann sich dafür aber weder Akzeptanz noch Vertrauen verschaffen. Insofern spiegelt dieser Tag die deutschen Verhältnisse doppelt wieder. Wir haben einen Reformkanzler – mit schwindenden Mehrheiten. Und einen reformfreudigen Bundespräsidenten – ohne politische Macht.

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