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Letztes Geleit. Bei der Beerdigung des getöteten Oppositionsführers Chokri Belaid in Tunis wollten Tausende dabei sein. Foto: Fethi Belaid/AFP

© AFP

Politik: „Weg mit den Islamisten“

Die Opposition in Tunesien will sich nach dem Mord an Chokri Belaid nicht einschüchtern lassen.

Die rote tunesische Nationalflagge liegt auf dem Sarg von Chokri Belaid. Einige Menschen tragen Blumen in der Hand. Andere halten Fotos jenes Oppositionsführers in die Höhe, der am Mittwoch von einem Killerkommando vor seinem Haus in der Hauptstadt Tunis ermordet worden war. „Nieder mit den Mördern“, schallt es aus der Menge, welche die braune Holzkiste zum Friedhof im Vorort Djebel Jelloud geleitet. „Weg mit den Islamisten.“

Der Trauerzug mit zehntausenden Teilnehmern verwandelt sich in einen mächtigen Protestmarsch gegen die regierende Islamistenpartei Ennahda, welche von der Opposition für die Tat verantwortlich gemacht wird. „Mein Sohn ist als Märtyrer für unser Land gestorben“, sagt die Mutter des Opfers. Besma Khalfaoui, die Ehefrau des getöteten Anwalts Belaid, macht immer wieder mit zwei Fingern der rechten Hand das Victory-Zeichen. Die klare Botschaft, dass sich die Opposition in Tunesien von diesem politischen Mord nicht einschüchtern lassen will.

Die sonst so zersplitterte Oppositionsbewegung dieses Landes, in dem vor mehr als zwei Jahren der Arabische Frühling begann, ist wenigstens in der Verurteilung dieser „abscheulichen Tat“ vereint. Fernsehbilder zeigen prominente Vertreter vieler Bürgerorganisationen, die den Sarg begleiten. Ein Menschenmeer umgibt den Friedhof Al Jellaz. Die Masse skandiert: „Wir werden weiterkämpfen.“ Kurz vor der Beisetzung droht die Lage zu eskalieren, als es am Rande des Friedhofs zu Prügeleien mit der Polizei kommt, Tränengasgranaten fliegen. Dann beruhigt sich die aufgeheizte Stimmung wieder.

Nach der Trauerfeier und dem Freitagsgebet marschieren tausende Menschen in die City. Die zentrale Verkehrsachse der Hauptstadt, die Avenue Habib Bourguiba, ist wie früher das Epizentrum des Protestes gegen die Herrschenden. Schwer bewaffnete Bereitschaftspolizisten in schwarzen Uniformen bewachen das Innenministerium, das durch einen Stacheldrahtwall geschützt ist. Am Himmel kreisen Armeehubschrauber.

„Degage, degage“, skandiert die Menge, „haut ab, haut ab.“ Mit diesen Rufen wurde vor zwei Jahren Diktator Zine al Abidine Ben Ali vertrieben. Nun richtet sich der Protest gegen Islamisten- Chef Rachid Ghannouchi und seinen Ministerpräsidenten Hamadi Jebali.

Es dauert nicht lange, bis es zur Konfrontation mit der Polizei kommt. Polizisten gehen mit Schlagstöcken gegen Jugendliche vor. Steine fliegen Richtung Sicherheitskräfte. Tränengasschwaden ziehen durch die Innenstadt. Nach dem Tod von Chokri Belaid gab es hier täglich Straßenschlachten. Neue Unruhen werden am Freitag auch aus anderen Städten in der tunesischen Provinz gemeldet, wo die soziale Not und damit auch die Wut gegen die Mächtigen noch größer ist. Auch in Sidi Bouzid kommt es zu Krawallen. Jenem Ort, in dem vor zwei Jahren die Revolution begann, nachdem sich ein von der Polizei schikanierter Gemüsehändler verbrannt hatte.

Die Stimmung auf den Straßen ist nicht weniger angespannt als damals. Der tunesische Gewerkschaftsbund UGTT, in dem 500 000 der rund elf Millionen Tunesier organisiert sind, hatte am Freitag zum Generalstreik aufgerufen. Der öffentliche Transport stand am Tag der Beerdigung still, die meisten Geschäfte blieben geschlossen. Auch Urlauber hingen fest: Die meisten Flüge von und nach Tunesien wurden abgesagt.

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