zum Hauptinhalt

Politik: Wegsperren – für immer gescheitert?

Die Länder wollten gefährliche Sextäter dauerhaft einschließen, wenn sie ihre Strafe abgesessen haben. Doch die Justiz macht ihnen einen Strich durch die Rechnung

Eine „Sicherheitslücke“ hatte Baden-Württembergs früherer Justizminister Ulrich Goll vor zwei Jahren ausgemacht. Eine, die Menschenleben kosten kann. Was Goll meinte: Ein gefährlicher Sexualtäter, der seine Strafe abgesessen hat, kommt unweigerlich frei. Egal, ob er noch ein Risiko darstellt oder nicht. Also machte Goll ein neues Gesetz für diese Fälle. Andere Länder folgten diesem Beispiel. Doch heute, zwei Jahre später, fällt die Bilanz ernüchternd aus. Kaum einer der gefährlichen Täter, die Goll und seine Ministerkollegen für immer wegsperren wollten, sitzt tatsächlich in Haft. Die proklamierte Sicherheitslücke besteht weiter.

In Baden-Württemberg ist das Scheitern des so genannten Straftäter-Unterbringungsgesetzes (StrUBG) besonders augenfällig. Nicht ein einziger Risiko-Täter konnte in der so genannten nachträglichen Sicherungsverwahrung im Gefängnis behalten werden. Die Justizbehörden haben acht Anträge gestellt. Alle haben die Gerichte abgebügelt. Sechs Verfahren laufen noch. Illusionen über deren Ausgang macht man sich nicht. „Keine Chance“, heißt es dort in Justizkreisen. Das Gesetz ist damit praktisch tot.

Die ebenfalls unionsregierten Länder Bayern, Thüringen und Sachsen-Anhalt verfügen über ähnliche Gesetze. Bescheidene Erfolge kann nur Bayern vorweisen. Nach Auskunft des Justizministeriums wurden in Bayreuth vier Fälle rechtskräftig angeordnet – aber 34 Täter hätten die Gefängnisleitungen gerne über ihre Strafhaft-Dauer hinaus im Knast gesehen. In fast allen anderen Fällen hat auch hier die Justiz gesagt: so nicht. Thüringen, wo es das neue Gesetz erst seit April gibt, hat hundert Fälle ins Auge gefasst, erwartet aber, dass nur ein „harter Kern“ übrig bleibt, sagt ein Justizsprecher. Bislang wurde noch kein einziger Antrag gestellt. In Sachsen-Anhalt sitzt gerade einmal ein Mann in Haft.

Böse Justiz? Die Länder hatten sich das alles anders vorgestellt. Gerade Ulrich Goll, der meinte, mindestens zehn Delinquenten würden bundesweit pro Jahr entlassen, ohne wirklich entlassen werden zu dürfen. Goll, der Hansdampf unter den Länderjustizministern, ist nicht mehr im Amt. Die Neue, Corinna Werwigk-Hertneck, ebenfalls FDP, betreibt das Prestigeprojekt ihres Vorgängers merklich zurückhaltender.

Die Gerichte lassen ihr auch keine andere Chance. „Wir haben die Voraussetzungen für die Sicherungsverwahrung sehr eng gezogen“, sagt Klaus Böhm vom Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe. Juristisch gesehen hatten die Richter keine große Wahl. Denn das in allen Ländern ähnlich lautende Gesetz schreibt aus verfassungsrechtlichen Gründen vor, dass es unbedingt neue Gesichtspunkte sein müssen, die die besondere Gefährlichkeit der Täter begründen. Alles andere wurde bereits im zurückliegenden Strafurteil berücksichtigt. Zöge man die Feststellungen von damals jetzt noch einmal heran, wäre dies ein klarer Verstoß gegen das Verbot einer doppelten Bestrafung.

Die geforderten neuen Gesichtspunkte aber tauchen fast nie auf. Sextäter verhalten sich in der Haft meist angepasst. Auch wenn sie eine Therapie verweigern, kann ihnen das nicht automatisch zum Nachteil ausgelegt werden. Schließlich gibt es auch untherapierbare Kandidaten. Und solche, die sich ohnehin für unschuldig halten – woraus ihnen ebenfalls kein Nachteil entstehen darf. „Der Gedanke, dass sich die wahre Gefährlichkeit eines Straftäters erst während des Strafvollzugs herausstellt, geht an der Realität vorbei“, hat der Essener Gerichtspsychiater Norbert Leygraf kürzlich vor dem Bundestags-Rechtsausschuss gesagt. Ohnehin, schreibt der Freiburger Strafrechtler Jörg Kinzing, werde „die Gefährlichkeit inhaftierter Personen weit überschätzt“.

Experten wie Kinzing halten es für möglich, dass die euphorisch verabschiedeten Ländergesetze andernorts endgültig zu Grabe getragen werden: vor dem Bundesverfassungsgericht. Dort liegt der Fall des Mörders der Sechsjährigen aus Sachsen-Anhalt. Seine Anwälte halten die Länder für unzuständig. Es handle sich nicht um polizeiliches Präventionsrecht, sondern um echtes Strafrecht. Das aber wäre Sache des Bundes.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false