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Politik: Wehrdienst: "Späte Schäden zu erwarten"

Die Bundeswehr hat in den 70-er Jahren offenkundig erhöhte Messergebnisse über die Röntgenstrahlen bei der Arbeit an Radaranlagen der Marine unter Verschluss gehalten. Dadurch wurden Elekrotechnikern, die auf Zerstörern, Schnellbooten und Fregatten arbeiteten, wichtige Informationen über mögliche gesundheitliche Schäden vorenthalten.

Die Bundeswehr hat in den 70-er Jahren offenkundig erhöhte Messergebnisse über die Röntgenstrahlen bei der Arbeit an Radaranlagen der Marine unter Verschluss gehalten. Dadurch wurden Elekrotechnikern, die auf Zerstörern, Schnellbooten und Fregatten arbeiteten, wichtige Informationen über mögliche gesundheitliche Schäden vorenthalten. Die tatsächliche Belastung durch Röntgenstrahlen, der die Soldaten und zivilen Mitarbeiter damals ausgesetzt waren, lag mehr als das 60-fache höher als seinerzeit angegeben.

Offenkundig wird der unkorrekte Umgang mit Messdaten durch den Fall des Zivilangestellten Siegfried Rabenstein, der von 1971 bis 1977 als Elektrotechniker in der Radarwerkstatt des Marinearsenals Wilhelmshaven die defekten taktischen Radaranlagen reparierte. Als der heute 52-jährige Rabenstein im Sommer 1991 zunächst wegen Nierenkrebs und des Verdachts auf Leber- und Lungenkarzinome zweimal operiert wurde und in den nächsten zwei Jahren fünfmal an einer Herzbeutelentzündung erkrankte, erinnerte er sich an die sieben Toten und acht schwerkranken Kollegen in seiner Werkstatt. Und er erinnerte sich an die Messungen, die 1975 und 1976 an seinem Arbeitsplatz von der Wehrbereichsverwaltung veranlasst und ihm als Dosisschätzung mitgeteilt worden waren. Dabei handelte es sich um Messwerte an intakten und überprüften Werkstattanlagen, nicht aber um Strahlendosen, denen Rabenstein bei seinen Reparaturarbeiten an zum Teil geöffneten Sendern von defekten Radaranlagen ausgesetzt war. "Die Befragung der Bediensteten in der Radarwerkstatt ergab, dass in fast allen Fällen die gemäß Röntgenverordnung zulässige Strahlenbelastung für nicht beruflich strahlenexponierte Personen überschritten war", räumt das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung über den Untersuchungszeitraum Dezember 1975 und Januar 1976 ein. Und weiter: "Die bisher durchgeführte Untersuchung durch den ermächtigten Strahlenschutzarzt ergab, dass bei einem Bediensteten ein durch Strahlen hervorgerufener Gesundheitsschaden vorliegt."

Die Radartechniker, die nur ihre blauen Arbeitskittel trugen, wurden daraufhin mit Bleischürzen ausgestattet. Nähere Gründe erfuhren sie nicht. Nach weiteren Zwischenfällen mit hochstrahlenden Radaranlagen im April und Mai 1976 gab die Wehrbereichsverwaltung Wilhelmshaven eine weitere Dosisabschätzung in Auftrag, die von der wehrwissenschaftlichen Dienststelle der Bundeswehr, ABC-Schutz in Munster, übernommen wurde.

Diese Ergebnisse waren so alarmierend, dass am 12. Mai 1976 eine Besprechung "anlässlich einer Notfalluntersuchung nach Bekanntwerden erhöhter Strahlendosisleistungen von Störstrahlen in Radaranlagen" einberufen wurde. In dem Protokoll zur Sitzung ist vermerkt: "Gemäß Röntgenverordnung dürfen von beruflich strahlenexponierten Personen (ohne dass Gesundheitsschäden befürchtet werden müssen) keine höheren Strahlendosen als 50 Milli-Sievert pro Jahr aufgenommen werden. Es ist zu besorgen, dass ein Teil des betroffenen Personenkreises bis zu 3 (!) Sievert im Jahr oder mehr aufgenommen hat. (...) Es muss damit gerechnet werden, dass in der Vergangenheit bei Personen infolge überhöhter Strahlendosen Spätschäden zu erwarten sind." Und in dem internen Sitzungsprotokoll wurde ausdrücklich festgehalten: "Machen diese Personen Wehrdienstbeschädigung geltend, sind durch den Dienstherrn die erforderlichen Untersuchungen zu veranlassen, um festzustellen, ob die Anträge zu Recht bestehen."

Doch für die betroffenen Soldaten ist das ein langer, mühsamer Weg. Obgleich das Bundesverteidigungsministerium, die zuständige Wehrbereichsverwaltung und die Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung feststellten, dass Siegfried Rabenstein durch Röntgenstrahlung "erheblich strahlenexponiert" war, wurden seine Krebserkrankungen bis heute nur zum Teil als berufsbedingte Wehrdienstbeschädigung anerkannt.

Für die unabhängige Organisation medicine-worldwide, ist der Befund eindeutig. "Bei einer Bestrahlung mit drei Sievert im Jahr und mehr sind Krebserkrankungen als äußerst wahrscheinlich anzusehen", erklärt der Berliner Strahlenphysiker Bernd Ramm. Besorgt äußert sich darüber hinaus der Bundeswehrverband: "Wir können nicht ausschließen, dass bei der Marine noch heute erhöhte Strahlenwerte auftreten, da die Schiffe intensiver mit Radar bestückt sind als andere Einheiten."

Claudia Lepping

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