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Dissens verboten. Polizei blockiert vor einer Kundgebung der Opposition in Minsk zum Unabhängigkeitstag im März einen U-Bahn-Eingang.

© Tatyana Zenkovich/picture alliance-dpa

Weißrussische Opposition: "Lukaschenko will Angst verbreiten"

Der führende weißrussische Oppositionspolitiker Milinkiewitsch fordert von der EU Konsequenz. Weißrussland könne nur mit Hilfe von außen überleben. Lukaschenko verstehe nur konkrete Taten und Machtanwendung.

Nach dem blutigen Bombenanschlag in Minsk hat Lukaschenko die Schuld auf die Opposition geschoben. Was bedeutet dies?

Die Anordnung Lukaschenkos, die Hintermänner in der Opposition zu suchen, ist absurd. Ich bin seit der Zeit der Perestrojka in der Opposition aktiv und weiß, dass es in Weißrussland keine oppositionellen Kräfte gibt, die zu so einem Verbrechen fähig wären. Die Opposition kämpft mit zivilisierten Mitteln gegen die Diktatur. Lukaschenkos Reaktion zeigt, dass er nun versucht, noch mehr Angst in der Gesellschaft zu verbreiten und die Daumenschrauben ein für alle Mal anzuziehen.

Schon nach den Nachwahlprotesten vom Dezember war die Opposition vermehrt Repressionen ausgesetzt.

Neben den rund 30 neu inhaftierten Oppositionellen hatten und haben vor allem ein paar NGO Probleme. Mit hohen Haftstrafen für die demokratischen Präsidentschaftskandidaten will das Regime Angst unter den politischen Aktivisten säen. Dazu werden in den nächsten paar Monaten Schauprozesse wie einst unter Stalin angesetzt, die zeigen sollen, dass diese Oppositionellen radikale und blutrünstige Agenten des Westens sind. Im Moment wird ihre Untersuchungshaft verlängert, um weiter Druck aufzubauen.

Werden diese politischen Gefangenen später – wie nach den Präsidentschaftswahlen von 2006 – für einen Kuhhandel mit der EU gebraucht?

Bevor harte Urteile gefällt worden sind, geschieht dies nicht. Es geht vorerst vor allem darum, die Kontrolle im eigenen Land zu verstärken. Für später aber will ich keine Händel ausschließen – auch nicht finanzielle.

Aljaksandr Milinkiewitsch.
Aljaksandr Milinkiewitsch.

© dpa

Vor zwei Monaten haben eine Reihe von westlichen Staaten in Warschau beschlossen, die weißrussische Zivilgesellschaft zu unterstützen. Ist diese Hilfe angekommen?

Konkrete erste Hilfsmaßnahmen für die politischen Gefangenen und jene, die nach den Protesten ihre Arbeitsstelle oder den Studienplatz verloren haben, ist eingetroffen. Doch für eine langfristige wirkliche Hilfe muss Brüssel seine Prozeduren ändern und vereinfachen, sonst wird daraus nichts.

Brüssel ist also zu schwerfällig?

Um in einem autoritären System zu helfen, braucht es andere Mechanismen als für demokratische Verhältnisse. Das Schlimmste wäre, wenn diese großen Summen außerhalb Weißrusslands ausgegeben würden – für Seminare, Konferenzen, Praktika und Meetings, aber nicht für die konkrete Arbeit vor Ort in Weißrussland. Das Wichtigste ist die Arbeit vor Ort!

Welche Arbeit vor Ort schwebt Ihnen vor?

Die Opposition kann nicht nur im Internet mit Artikeln und Slogans existieren oder auf dem Satellitensender „Belsat“, sondern sie muss zu den Leuten rausfahren. Und dort in der Provinz dürfen wir nicht nur auf Meetings sprechen, sondern wir müssen vor allem den Bürgern konkret dabei helfen, sich selbst zu organisieren und kleine lokale Probleme zu lösen. Das alles ist eine Investition in unsere Zukunft, denn so wird eine demokratische Gesellschaft aufgebaut.

Der heute unter Hausarrest stehende und wegen angeblichem Staatsstreichversuch angeklagte Präsidentschaftskandidat Niaklajau hat dies ja mit seiner Kampagne „Sag die Wahrheit“ versucht. Ist dies der richtige Weg?

Das Problem von „Sag die Wahrheit“ war der Ansatz, dass die Minsker Zentrale die Aktionen plante. Nicht die Leute vor Ort gaben die Agenda vor, sondern Niaklajaus Wahlstab. Die Idee ist gut, wir aber brauchen solche Initiativen nicht nur vor den Wahlen, sondern vor allem in der stillen Zeit zwischen den Wahlen. Wir brauchen eine dauerhafte, systematische Arbeit mit dem Volk.

Ihre Bewegung „Für die Freiheit“ will das besser machen. Wie?

„Für die Freiheit“ will nicht nur die eigenen Mitglieder mobilisieren, sondern die ganze Gesellschaft. Zum Beispiel bei der „Europäischen Volksuniversität“: Wir organisieren Kurse, Treffen und Studienreisen in neue EU-Staaten, damit sich die Kader der Zukunft vor Ort über die Transformation informieren können. Die so geschulten Aktivisten können dereinst in die Lokalorgane gewählt werden und werden dann die Reformen nach dem Sturz Lukaschenkos durchführen.

Im Moment herrscht eine Devisenkrise in Weißrussland, und die Preise gehen drastisch nach oben. Hilft diese Entwicklung der Opposition?

Weißrussland kann nur mit Hilfe von außen überleben. Lukaschenko wird zuerst die Oppositionsführer einsperren und dann möglichst viel Geld von China und Russland borgen. Dann wird er versuchen, wieder mit dem Westen ins Geschäft zu kommen. Da die EU keine Anteile an den weißrussischen Staatsbetrieben, sondern nur demokratische Zugeständnisse will, ist sie das kleinere Übel. Aber der Westen muss diesmal konsequent sein. Lukaschenko versteht nur konkrete Taten und Machtanwendung, Kompromisse bedeuten für ihn Schwäche.

Das Gespräch führte Paul Flückiger.

Aljaksandr Milinkiewitsch (63) ist Chef der weißrussischen Oppositionsbewegung „Für die Freiheit“. Der gelernte Physiker hatte bei der Wahl zum Präsidenten 2006 kandidiert.

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