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Weißrussland: Schlagstöcke gegen Blumen

Sechs Tage lang schaute Lukaschenkos Polizei zu. Dann tat sie das, was viele befürchtet hatten: Sie prügelte die friedlichen Proteste brutal nieder.

Minsk/Moskau - Am Samstag erhielt Weißrusslands gefürchtetster Polizist, Brigadekommandeur Dmitri Pawlitschenko, den Befehl zum Losschlagen. Mit Gummiknüppeln prügelte seine maskierte Polizeigarde die friedlichen Proteste im Zentrum der weißrussischen Hauptstadt nieder. Augenzeugen berichteten von blutenden Verletzten und weinenden Kindern in der eingekesselten Menschenmasse. Das Regime von Staatspräsident Alexander Lukaschenko hatte sein Drohung wahr gemacht, die Proteste gegen die autoritären Zustände im Land mit Gewalt zu beenden.

Zunächst ging alles friedlich und fröhlich wie bei den Großkundgebungen der vergangenen Woche zu. Ob Anarchisten mit Totenkopf-Fahnen oder Eltern mit Kinderwagen, überall herrschte eine gelassene Stimmung am Kupala-Platz. Einige schwenkten hellblaue Luftballons, andere hielten zum Feiertag der Ausrufung der unabhängigen Republik Weißrussland im Jahr 1918 Blumen in der Hand.

Auf dem Weg vom Stadtzentrum zum Untersuchungsgefängnis in der Okrestin-Straße prallten dann Demonstranten und Einsatzkräfte aufeinander. Auf der einen Seite Blumen und Fahnen, auf der anderen Seite Helme und Schlagstöcke, deren rhythmisches Schlagen auf Metallschilde einen angsteinflößenden Krach erzeugte. Der Oppositionspolitiker Alexander Kosulin versuchte an der Spitze des Demonstrantenzuges noch zu vermitteln, doch es war zu spät.

Kommandeur Pawlitschenko persönlich soll den Befehl von oben zum Sturm weiter gegeben haben. Der Polizist steht im dringenden Verdacht, an der Ermordung mehrerer Oppositionspolitiker 1999 beteiligt gewesen zu sein. Seit jener Zeit genießt der untersetzte Mann mit tief liegenden Augen und Kurzhaarschnitt das Vertrauen Lukaschenkos. Am Abend verbreitete sich in Oppositionskreisen die Schreckensnachricht, ein Teil der Festgenommenen sei nicht ins Gefängnis, sondern in Pawlitschenkos Polizeikaserne im Nordosten von Minsk gebracht worden.

Es war nicht das erste Mal, dass sich Opposition und Staatsmacht an Tagen wie dem verbotenen «Tag der Freiheit» am 25. März Auseinandersetzungen lieferten. Doch eine derart grimmige Entschlossenheit der Einsatzkräfte und die Festnahme hunderter Regimegegner bedeutete selbst für langjährige Anhänger der Opposition eine böse Überraschung. Auch der ehemalige Präsidentschaftskandidat Kosulin sei in der Haft geschlagen worden, berichteten Familienangehörige des früheren Rektors der Staatsuniversität.

Wenngleich der Oppositionsführer Alexander Milinkewitsch nach der Eskalation der Gewalt ein vorläufiges Ende der Protestkundgebungen verkündete, war zugleich auch Hoffnung bei den Regimegegnern zu spüren. «Die Menschen erkennen, dass sie eine große Kraft haben, selbst wenn der entscheidende Wendepunkt noch nicht erreicht ist. Ich habe das Gefühl dass sich bei uns etwas ändert», sagte die Politikerin Ljudmila Grjasnowa von der Vereinigten Bürgerpartei.

In der Opposition wuchs nach der Eskalation aber auch die beklemmende Erkenntnis, nach fast einer Woche strengster Protestdisziplin einer Provokation aus den eigenen Reihen aufgesessen zu sein. Der bei der Präsidentenwahl als Einzelkandidat angetretene Kosulin hatte die Massen aufgefordert, Gesinnungsgenossen aus dem Untersuchungsgefängnis in der Okrestin-Straße zu befreien. Dieser Aufruf sei der Staatsmacht sehr gelegen gekommen, sagte Milinkewitsch später mit spürbarem Bedauern. (Von Stefan Voß, dpa)

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