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Politik: Weit weg von Jerusalem

Seit Jahrzehnten arbeitet Arafat für einen Palästinenserstaat – jetzt entgleitet ihm sogar das eigene Volk

Berlin - Vor fünf Jahren, am Morgen des 4. August 1999, lockten Kinder aus einem nahe gelegenen Ferienlager Jassir Arafat mit einem Geburtstagsständchen aus seinem Hauptquartier in Ramallah. Die kleinen Besucher fragten den „Rais“, wie Arafat von seinem Volk respektvoll genannt wird, nach seinem größten Wunsch zum 70. Geburtstag. „In Jerusalem beten, in der Hauptstadt eines palästinensischen Staates“, antwortete der betagte Präsident und spreizte seine Finger zum Victoryzeichen.

Seitdem ist Arafat seinem Ziel keinen Schritt näher gekommen. Friedensverhandlungen finden nicht mehr statt. In den palästinensischen Gebieten operiert die israelische Armee nach Belieben. Und zum ersten Mal scheint auch Arafats Rückhalt in der eigenen Bevölkerung zu bröckeln. Einst treue Anhänger wenden sich wegen der chronischen Vetternwirtschaft und Reformunfähigkeit enttäuscht ab. Sogar die Al-Aksa-Brigaden seiner eigenen Fatah-Organisation rebellieren offen gegen den Patron. Und aus dem Kabinett verlautet, der Präsident habe seinen Status als „heilige Kuh“ eingebüßt.

Jassir Arafat wurde im August 1929 als Rachman Abdel Rauf Arafat al Kudwa al Husseini in Kairo geboren. Dort studierte er Ingenieurswesen. Im Nahostkrieg von 1956 kämpfte er als ägyptischer Offizier gegen Israel, ging dann nach einem Praktikum in Stuttgart als Bauingenieur nach Kuwait. Zurück in Gaza gründete er die Fatah und wurde 1969 Chef der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO). Zunächst von Jordanien aus ließ er Israel mit Terror bekämpfen, bis König Hussein die Fatah 1970 mit Gewalt aus dem Land warf. Arafat setzte sich in den Libanon ab, von wo ihn dann 1982 die israelische Armee unter Führung seines heutigen Widersachers Ariel Scharon vertrieb. Von seinem Exil in Tunis aus stimmte Arafat dann 1993 geheimen Friedensverhandlungen mit Israel zu, die im Oslo-Abkommen mündeten. Zusammen mit dem später ermordeten Premier Jitzhak Rabin und dem damaligen Außenminister Schimon Peres erhielt Arafat dafür 1994 den Friedensnobelpreis.

Nach seiner triumphalen Rückkehr von Tunis nach Gaza wählten ihn 1996 fast 90 Prozent der Palästinenser zu ihrem Präsidenten. Mit den Jahren jedoch ist sein Ruhm verblasst. Inzwischen haben die USA seine Person als ein Hauptproblem in Nahost ausgemacht. Auch europäische Politiker meiden Arafat, der nun seit über 900 Tagen in seinem weitgehend zerstörten Amtssitz in Ramallah festsitzt. Israels Ministerpräsident Scharon, der sogar öffentlich bedauerte, Arafat 1982 in Beirut nicht getötet zu haben, betrachtet ihn nicht mehr als offiziellen Gesprächspartner.

Selbst die beiden ersten palästinensischen Ministerpräsidenten sind von dem betagten Palästinenserchef enttäuscht. Regierungschef Mahmud Abbas resignierte bereits nach vier Monaten und warf Arafat eine „enttäuschende Rolle“ im Friedensprozess vor. Sein Nachfolger Ahmed Kurei reichte vor zwei Wochen den Rücktritt ein, zog ihn dann aber nach heftigem Machtkampf mit Arafat wieder zurück. Ein Thronfolger für den „Rais“ jedenfalls ist nicht in Sicht, zu lange hat Arafat das politische Leben der Palästinenser absolut dominiert. Doch die Ungeduld wächst, die Jüngeren fordern mehr Mitsprache und drängen energischer denn je an die Macht. Und in ihrem Namen spricht die prominente palästinensische Politikerin Hanan Aschrawi, wenn sie jetzt von dem 75-jährigen Jubilar das „Ende der Ein-Mann-Schau“ verlangt.

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