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Politik: Welcher Arzt kann mir helfen?

Ein Modellvorhaben der Krankenkassen soll die unabhängige Patientenberatung verbessern

Am Telefon der Beratungsstelle ist ein junger Mann: „Der Orthopäde hat gesagt, in meinem linken Knie ist ein Meniskus kaputt. Ich soll das operieren lassen, eine ganz kleine Sache, er kann das selbst machen. Aber in meinem Sportverein ist jemand, der auch noch drei Monate nach solch einem Minimal-Eingriff außer Gefecht gesetzt ist. Ich möchte erst mal eine zweite Meinung hören. Wie finde ich einen Arzt, der beurteilen kann, ob das wirklich sein muss? Es müsste einer sein, der nicht selbst operiert, also kein eigenes Interesse daran hat. Und bezahlen es die Kassen, wenn man einen zweiten Arzt um seine Meinung bittet?“

Eines der typischen Probleme, wie sie tagtäglich an die Patientenberatungsstelle herangetragen werden. Ein anderes bringt seine Frau in mittleren Jahren vor: „Meine Mutter hat Krebs, und die Ärzte sagen, er sei schon so weit fortgeschritten, dass wir mit dem Schlimmsten rechnen müssen. Jetzt habe ich in einer Illustrierten von einem sehr teuren Verfahren gelesen, mit dem man angeblich jeden Krebs heilen kann. Wo erfahre ich, ob da etwas dran ist?“

Die meisten Fragen – fast 40 Prozent –, die den Patientenberatungsstellen persönlich oder öfter noch telefonisch gestellt werden, betreffen medizinische Themen wie Behandlungsverfahren oder Arzneimittel. Zur Sprache kommen auch Versicherungsfragen und Rechtsprobleme (Patientenverfügung, Kunstfehler), erbeten werden Adressen und Empfehlungen, und es kommen auch Beschwerden. Zum Beispiel darüber, dass viele Ärzte nicht richtig zuhörten, nie Zeit hätten und keine ausreichenden und verständlichen Auskünfte gäben.

„Die Leute sind schon hoch zufrieden, wenn sie in einer Beratungsstelle endlich angehört werden und ausführlich über ihre Probleme reden können“, sagte Marie-Luise Dierks, Zentrum für Öffentliche Gesundheitspflege der Medizinischen Hochschule Hannover, beim Kongress „Armut und Gesundheit“ vergangene Woche in Berlin. Sie gehört zu einer Forschungsgruppe, die ein Modellprogramm zur unabhängigen Patientenberatung wissenschaftlich begleitet.

Die Ausgangslage: Es wird immer schwieriger, sich in dem Dschungel namens „Gesundheitswesen“ zurechtzufinden. Da braucht so mancher Hilfe, aber guter Rat ist schwer zu finden. Es gibt zu wenig Beratungsstellen, ihre Arbeit ist zum Teil von ideologischen oder ökonomischen Interessen beeinflusst, auch die Auskünfte der unabhängigen Stellen sind von ungleicher Qualität; und ebenso wie die Selbsthilfegruppen werden sie vor allem von der Mittelschicht genutzt, kaum von den Hilfsbedürftigsten.

Soll die Mitverantwortung der Patienten für ihre Gesundheit sich nicht allein auf die immer höheren Zuzahlungen beschränken, dann müssen sie besser informiert werden. Um Wildwuchs zu verhindern und die Beratung auf eine solide wissenschaftliche Basis zu stellen, wurde 1999 im Fünften Sozialgesetzbuch festgeschrieben, dass erst einmal ausgewählte Modellprojekte zur Verbraucher- und Patientenberatung zu fördern und zu erproben sind. Seit 2001 finanzieren die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen 30 Projekte verschiedener Träger.

Der Schlussbericht der Gesundheitsforscher, die, unter Federführung der Bielefelder Fakultät für Gesundheitswissenschaften, die Erprobung systematisch beobachten und bewerten, wird für den nächsten Herbst erwartet. Zu den Zielen des Modellvorhabens gehört es, die Souveränität der Patienten zu stärken, ihnen die Gesundheitsversorgung transparent zu machen und die für sie jeweils beste Beratung und Behandlung zu vermitteln. Das Ergebnis einer Expertenbefragung im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung zeigt, dass nach Einschätzung der meisten Fachleute aus dem Gesundheitswesen das Bewusstsein der Patienten für Selbst- und Mitbestimmung immer mehr wächst, und auch politisch werden sie künftig als eigenständige Interessengemeinschaft gelten. Breite Zustimmung fanden die vorgeschlagenen Kriterien zur Bewertung der Beratungsmodelle: „Unabhängigkeit“, „Neutralität“, „leichte Zugänglichkeit“ ohne Schwellenangst und „Fachkompetenz“.

Eine Patientenbefragung steht noch aus, aber über eine andere Teilstudie aus der Begleitforschung konnte Marie-Luise Dierks schon einiges berichten: Die Ratsuchenden sind größtenteils älter, es sind mehr Frauen als Männer, die meisten hatten vorher schon Arzt, Krankenhaus oder Kasse gefragt. Von der Beratungsstelle hatten sie am häufigsten durch die Medien, am seltensten vom Arzt erfahren. 70 Prozent der Anfragen konnten ohne längere Recherchen sofort beantwortet werden. Die Beratung dauerte meist zehn bis 20 Minuten.

Zum Bildungsgrad sagt die Studie wenig aus. Man weiß aber, dass Menschen aus den Unterschichten nicht nur ein größeres Krankheitsrisiko haben, sondern auch schlechter informiert und versorgt sind, sagte Carola Gold, Mitarbeiterin der Landesarbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung „Gesundheit Berlin e. V.“, die den bundesweiten Kongress „Armut und Gesundheit“ jährlich ausrichtet. Sie leitet dort eines der Modellprojekte: den Aufbau eines Internet-Portals zur Patienten-Information und -Beratung.

Um die Texte, Tipps und Adressen nicht nur in den Beratungsstellen, sondern auch den Ratsuchenden in den sozialen Brennpunkten selbst zugänglich zu machen, wurden etwa in Kreuzberger Treffpunkten internetbasierte Patientenschulungen für ältere Migranten entwickelt – mit überraschendem Erfolg, wie Carola Gold berichtete. In der Diskussion stieß das auf Skepsis, und es hieß, das Internet könne die persönliche Beratung ohnehin nicht ersetzen. Offen blieb die Frage, wie es zu schaffen ist, allen Ratsuchenden qualitätsgesicherte Informationen zugänglich zu machen. Und einig war man sich in der Forderung nach einer einzigen, ständig auf den neuesten Stand gebrachten Datenbank mit allen Angeboten.

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