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Auto-Korso-Teilnehmer in Flörsheim (Hessen), der Heimatstadt des inhaftierten "Welt"-Journalisten Deniz Yücel.

© Andreas Arnold/dpa

Update

Türkei: Scharfe Kritik an Untersuchungshaft für "Welt"-Reporter Deniz Yücel

Nach fast zwei Wochen Polizeigewahrsam kommt Deniz Yücel in Untersuchungshaft. Justizminister Maas hält das für "völlig unverhältnismäßig". Politiker und Prominente fordern eine sofortige Freilassung.

Nach fast zweiwöchigem Polizeigewahrsam für den der deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel in Istanbul hat ein Haftrichter am Montagabend Untersuchungshaft gegen den Reporter erlassen. Das berichtete die „Welt“, für die Yücel als Türkei-Korrespondent arbeitet. Die Entscheidung zog teilweise scharfe Kritik nach sich. Amnesty International bezeichnete sie als „inakzeptabel“. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hält den Haftbefehl für "völlig unverhältnismäßig", Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) findet den Beschluss "bitter und enttäuschend". Auch aus Medien und Gesellschaft nimmt der Protest zu. Mehr als 300 Prominente fordern in ganzseitigen Zeitungsanzeigen eine sofortige Freilassung.

Nach Abschluss der Vernehmung Yücels am Nachmittag hatte die Anklagebehörde den Journalisten mit Antrag auf Untersuchungshaft an das zuständige Gericht überstellt, teilte der türkische Oppositionspolitiker und Menschenrechtler Sezgin Tanrikulu mit. Yücel werden Terrorpropaganda und Volksverhetzung vorgeworfen.

Tanrikulu schrieb auf Twitter, die Entscheidung der Staatsanwaltschaft sei keine Überraschung. Yücel hatte sich am 14. Februar der Istanbuler Polizei gestellt und war in Gewahrsam genommen worden. Deutsche Politiker hatten den türkischen Behörden vorgeworfen, den „Welt“-Reporter aus politischen Gründen festzuhalten.

Unklar blieb zunächst, auf welche Berichte oder Äußerungen von Yücel sich die Tatvorwürfe bezogen. In einigen Meldungen hieß es, dem Reporter werde unter anderem ein Witz über Kurden und Türken zur Last gelegt, den er in einem Bericht zitiert habe. Eine Bestätigung dafür lag nicht vor. Bei einer Verurteilung drohen Yücel mehrere Jahre Haft.

Der Journalist Fatih Polat von der linksgerichteten Tageszeitung „Evrensel“ berichtete, in dem Verhör sei es vor allem um Yücels Berichterstattung über die Kurdenfrage gegangen. So sei Yücel zu einem Interview befragt worden, das er im Jahr 2005 mit Cemil Bayik führte, einem ranghohen Kommandeur der kurdischen Terrororganisation PKK. Auch Berichte Yücels über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sowie über Gefechte zwischen türkischen Sicherheitskräften und Kurden in Südostanatolien seien Thema gewesen.

Befragung zu einem Interview mit einem PKK-Kommandeur

Sollten Polats Angaben zutreffen, stellt sich die Frage, was aus den Vorwürfen geworden ist, wegen denen Yücel seit zwei Wochen in Gewahrsam sitzt. Laut Polizei wird ihm unter anderem die Verbreitung von Terrorpropaganda vorgehalten, weil er über die - durch Hacker an die Öffentlichkeit gekommenen - E-Mails des türkischen Energieministers Berat Albayrak berichtet hatte. Albayrak ist ein Schwiegersohn Erdogans; die Mails beschreiben angeblich die Einflussnahme der türkischen Führung auf die Medien des Landes.

Im Januar waren drei türkische Reporter im Zusammenhang mit Berichten über die Albayrak-Mails in U-Haft genommen worden; drei weitere wurden auf freien Fuß gesetzt. Medienberichten zufolge wurde bei den Betroffenen unter anderem die Teilnahme an Diskussionen über die Mails auf Twitter von der Staatsanwaltschaft als mutmaßlicher Beweis illegaler Tätigkeiten gewertet.

Bundesregierung will sich für Freilassung einsetzen

Kanzlerin Merkel bezeichnete die gegen Yücel verhängte Untersuchungshaft als "bitter und enttäuschend". "Diese Maßnahme ist unverhältnismäßig hart, zumal Deniz Yücel sich der türkischen Justiz freiwillig gestellt und für die Ermittlungen zur Verfügung gestellt hat", erklärte Merkel. Die Bundesregierung erwarte, "dass die türkische Justiz in ihrer Behandlung des Falles Yücel den hohen Wert der Pressefreiheit für jede demokratische Gesellschaft berücksichtigt". "Wir werden uns weiter nachdrücklich für eine faire und rechtsstaatliche Behandlung Deniz Yücels einsetzen und hoffen, dass er bald seine Freiheit zurückerlangt", sagte die Kanzlerin.

Auch Bundesaußenminister Sigmar Gabriel kritisierte die Untersuchungshaft scharf. „Das ist eine viel zu harte und deshalb auch unangemessene Entscheidung“, teilte er mit. Gabriel sprach von „schwierigen Zeiten für die deutsch-türkischen Beziehungen“, sagte der SPD-Politiker. „Wir haben allen Grund, das mit der Türkei in großer Deutlichkeit zur Sprache zu bringen. Wir sind fest entschlossen, uns mit allem Nachdruck dafür einzusetzen, dass Deniz Yücel schnell seine Freiheit zurück bekommt und das Verfahren zu einem guten Ende kommt", sagte er.

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Bundesjustizminister Maas (SPD) nannte den Umgang mit dem Journalisten „völlig unverhältnismäßig“. „Kritische Berichterstattung ist fundamentaler Bestandteil demokratischer Willensbildung. Das Wegsperren von missliebigen Journalisten ist mit unserem Verständnis von Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit unvereinbar.“ Wenn sich die Türkei nicht an die europäischen Grundwerte halte, „wird eine Annäherung an die EU immer schwieriger bis unmöglich“, sagte Maas. Mit Blick auf Auftritte türkischer Politiker in Deutschland fügte der Minister an: „Wer bei uns die Meinungsfreiheit in Anspruch nimmt, sollte auch selbst Rechtsstaat und Pressefreiheit gewährleisten.“

Prominente fordern Freiheit für Yücel

In einer ganzseitigen Anzeigenaktion in mehreren überregionalen Tageszeitungen, an der sich auch der Tagesspiegel beteiligt, rufen mehr als 300 Chefredakteure, Künstler, Schauspieler, Rechtsanwälte und andere Prominente in Deutschland zur sofortigen Freilassung des in der Türkei inhaftierten „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel auf.

„Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten“, zitieren die Unterzeichner der Solidaritätsbekundung aus Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948. Die Anzeige ist in deutscher und türkischer Sprache verfasst. Mit der Aktion soll auch an Dutzende weitere Journalisten erinnert werden, die in der Türkei in Haft sitzen.

„Deniz Yücel und alle anderen in der Türkei inhaftierten Journalisten müssen sofort freigelassen werden“, erklärte auch der Geschäftsführer der Journalistenorganisation "Reporter ohne Grenzen", Christian Mihr. „Die Vorstellung ist unerträglich, dass ein Journalist monate- oder gar jahrelang in Untersuchungshaft einem ungewissen Schicksal entgegensehen muss, nur weil er seine Arbeit ernstgenommen hat.“ Die Vorwürfe der Terrorpropaganda und der Aufwiegelung der Bevölkerung seien „schlicht absurd“.

Dass sich ein Korrespondent einer namhaften ausländischen Redaktion solcher Anschuldigungen erwehren müsse, bedeute „eine neue Qualität der Verfolgung, die deutlich über die bisherigen Schikanen wie Einreisesperren oder verweigerte Akkreditierungen“ hinausgehe, sagte Mihr weiter. Die Türkei steht auf Platz 151 von 180 Ländern auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen.

Demo vor türkischer Botschaft am Dienstag

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu kündigte eine Kundgebung für Dienstag vor der türkischen Botschaft in Berlin unter dem Motto #FreeDeniz an. Mutlu sagte: „Wenn die Türkei zeigen will, dass sie eine Demokratie ist, dann muss diese Farce endlich beendet und die Presse- und Meinungsfreiheit geschützt werden.“ Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) nannte den Haftantrag des Staatsanwalts für Yücel einen „entsetzlichen Verstoß gegen die Pressefreiheit“.

Nach Angaben der Journalisten-Gruppe CPJ in den USA sind in der Türkei derzeit 81 Journalisten in Haft, mehr als in jedem anderen Land der Erde. Die türkische Regierung betont, die Berichterstatter seien nicht wegen ihrer journalistischen Arbeit in Haft, sondern weil sie staatsfeindliche Aktivitäten unterstützt haben sollen. Dabei spielt das Vorgehen der Behörden gegen mutmaßliche Anhänger des Erdogan-Erzfeindes Fethullah Gülen eine große Rolle. Auch den wegen der Albayrak-Mails festgenommenen türkischen Journalisten wurde Unterstützung für Gülen vorgeworfen, wie die Zeitung „BirGün“ meldete. (mit dpa)

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