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Volk des Grundgesetzes oder ein anderes? Szene einer AfD-Demonstration in Mecklenburg-Vorpommern vor zwei Jahren.

© Bernd Wüstneck/picture alliance-dpa

Weltbild der AfD: Wer ist das Volk?

Volksgemeinschaft oder Staatsbürgerinnen: Im Jüdischen Museum wurde die Welt der AfD diskutiert - und warum sie Chancen hat, noch mehr Köpfe zu besetzen.

"Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus". Ein großer Satz steht da im Grundgesetz-Artikel 20. Allerdings einer mit unsichtbaren Stolperfallen, das Volk darin ein so heikler Begriff, dass selbst Staatsrechtler, so der Historiker Michael Wildt, sich dazu verhielten "wie Polizei vor einer Unfallstelle: Weitergehen, hier gibt's nichts zu sehen." Doch seit eine neue Partei nun auch im Bundestag den Anspruch vertritt, mit etwas über 13 Prozent "das Volk" zu vertreten, muss sich das Land wieder mit dem Begriff auseinandersetzen. Wildt, Professor für Neue Geschichte an der Humboldt-Universität in Berlin und Spezialist für NS-Geschichte, hat über seine Geschichte und seinen Gebrauch bis hin zu AfD bereits im März ein schmales Buch veröffentlicht, über das am Dienstagabend im gut gefüllten Saal der Akademie des Jüdischen Museums lebhaft diskutiert wurde: "Volk, Volksgemeinschaft, AfD".

Der Historiker Michael Wildt
Der Historiker Michael Wildt

© Reto Klar/Hamburger Edition

Das Volk des Grundgesetzes meine die AfD auf jeden Fall nicht, so Wildt: Wer eine zweifellos Deutsche, die in Hamburg aufgewachsene Staatsministerin Aydan Özoguz, "in Anatolien entsorgen" wolle wie AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland, müsse nach seinem Verfassungsverständnis gefragt werden. "Er war Chef der Staatskanzlei eines hessischen Ministerpräsidenten. Das darf man ihm nicht durchgehen lassen." Wenn Gauland und die Seinen behaupteten, das Volk zu sein oder sich "unser Volk zurück" zu holen, dann stecke dahinter ein völkischer Begriff von Volk - ethnisch verstanden und "in der Regel mehr darum bemüht zu definieren, wer alles nicht zum Volk gehört".

Um Flüchtlinge geht es nur vordergründig

Wildt und der Düsseldorfer Rechtsextremismusforscher Alexander Häusler, der am Dienstag mit ihm auf dem Podium saß, sehen im völkischen Volksbegriff denn auch den Kern der AfD heute, jenes politischen "Chamäleons" (Häusler), das einst als "elitäre Wessi-Partei" von Volkswirtschaftsprofessoren gegründet wurde und inzwischen wie ein "Staubsauger" das versprengte rechte Spektrum anziehe und sammle. Es gehe eben nicht um die Ängste besorgter Bürger. Für die, so Häusler, gäbe es Lösungen. Es gehe auch nicht um die Flüchtlinge, die Gauland als "Geschenk" für seine Partei bezeichnete. Tatsächlich biete sie autoritäre, rassistische Lösungen für eine umfassendere, größere Verunsicherung über Klima- und digitalen Wandel, technische Umbrüche und ein verbreitetes Gefühl der Unbehaustheit (Wildt). Das Flüchtlingsthema brauche es, weil Flüchtlinge, anders als die abstrakten Angstmacher, sichtbar sind.

AfD an der Uni?

Warum die Propaganda verfange, fragt fast verzweifelt ein Lehrer im Publikum, auch bei Kollegen seines Alters, "Menschen Mitte fünfzig, die an den Universitäten anderes hätten lernen können". Dass "ein starker Nationalstaat Probleme lösen" könne, sei eben eine sehr mächtige Vorstellung, sagt Wildt, und verweist auf den aktuellen Konflikt in Spanien zwischen Katalonien und Madrid. Und Bildung sei nun gerade kein Schutz gegen Rechts. Auch die Männer des Reichssicherheitshauptamts, über die er geforscht hat, waren, so Wildt, promovierte Juristen oder Historiker, die bürgerliche Elite ihrer Zeit. Wildt, der der AfD in seinem Buch - die Moderatorin, Hörfunkjournalistin Nina Amin, hakte da nach - noch ein einstelliges Wahlergebnis prophezeit hat, meint inzwischen wie Häusler, die Partei werde so rasch nicht verschwinden. Im Gegenteil. Die AfD werde ins Kuratorium seiner Universität einziehen, sagt HU-Professor Wildt, in die Bundes- und die Landeszentralen für politische Bildung und eine politische Stiftung bekommen, "vielleicht eine Ernst-Jünger- oder eine Carl-Schmitt-Stiftung". "Wir werden sie sehen." Schon jetzt, sagt Alexander Häusler, habe der rechtsradikale sogenannte "Flügel" um Björn Höcke zwar nicht die Mehrheit in der Partei, er sei aber "diskursbestimmend".

"Das Volk? Das sind doch alle, die hier leben"

Was die Mehrheit der 87 Prozent, die nicht AfD gewählt haben, dem entgegensetzen könnte, dafür ist am Ende der Debatte nur noch wenig Zeit. Bürgerbeteiligung, wie sie schon in einigen Städten praktiziert werde - Wildt verweist auf Wuppertal, wo ein Bürgerkomitee erfolgreich Stadtplanung machte - wäre ein Weg. Über direkte Demokratie klassischen Zuschnitts, in Volksabstimmungen, wie sie jahrelang ein Thema auch der Grünen waren, müsste wohl neu nachgedacht werden. Die AfD, Anhängerin des "Schweizer Modells", sagt Wildt, "liebt Ja-Nein-Referenden, weil sie polarisieren". Und wie schlecht sich komplizierte Fragen auf Ja und Nein reduzieren ließen, sei ja am Brexit zu studieren.

Und Deutschland könnte sich auch vom alten, weil mehrdeutigen Begriff verabschieden, meint der Historiker. "Es wäre zu fragen, ob die Debatte ums Volk noch unserer Lebenswirklichkeit entspricht." Die Kanzlerin, "unnachahmlich in ihrer Fähigkeit, die Luft aus politischem Pathos zu lassen", habe die Frage ja schon einmal klug beantwortet, als sie sagte: "Das Volk? Das sind doch alle, die hier leben."

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