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Weltfinanzgipfel: Familientreffen des globalen Dorfes

In Washington zeichnet sich eine neue Ordnung zwischen klassischen Industriestaaten und Schwellenländern ab.

Teilnehmerkreis und Tischordnung dokumentieren die Gewichtsverschiebung. Beim Dinner zum Auftakt des Finanzgipfels im Weißen Haus hat George W. Bush an seiner linken Seite Chinas Präsidenten Hu Jintao platziert, daneben den saudischen König Abdullah al Saud, an seiner rechten Seite den brasilianischen Kollegen Lula da Silva, gefolgt vom indonesischen Präsidenten Susilo Bamgang Yudhoyono. Auf den Ehrenplätzen gegenüber dem Gastgeber sitzen Vertreter der internationalen Organisationen: UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, Dominique Strauss-Kahn vom Internationalen Währungsfonds (IWF), Mario Draghi vom Financial Stability Form (FSF) und Robert Zoellick für die Weltbank. Das erntet Aufmerksamkeit, die USA hatten früher keine besondere Wertschätzung für diese Institutionen gezeigt.

Die bisherigen Herrscher der Welt, die sieben – oder, mit Russland, acht – größten Volkswirtschaften, finden sich an den Tischenden wieder: Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Kanada. Die globale Krise schafft eine neue Ordnung. Über Jahrzehnte war der Westen Wachstumsmotor und Stabilitätsanker. Währungskrisen gab es anderswo, in Argentinien, in Mexiko, in Asien. Dann griffen die vom Westen dominierten Institutionen wie der IWF rettend ein.

Die Rollen haben sich vertauscht. Die klassischen Industrieländer und ihre Finanzmärkte erleben schwere Turbulenzen. China und Saudi-Arabien haben die Währungsreserven und Petrodollar, die dem Westen aus der Not helfen können. Auf Schwellenländern wie Brasilien, Argentinien, Korea oder Indonesien ruht die Hoffnung, dass sie die Weltwirtschaft ankurbeln, während die klassischen Industriestaaten in die Rezession rutschen.

Wegen der wachsenden Abhängigkeiten kursiert seit Jahren das Diktum, die Welt werde zum globalen Dorf. Hier wird das Bild plötzlich greifbar. Der Finanzgipfel der „G 20 plus 5“ – 20 Staaten plus fünf internationale Organisationen – mutet wie ein Familientreffen des globalen Dorfes an, und das Weiße Haus wie sein Rathaus. Freilich bleibt da die Frage: Ist das eine Momentaufnahme, die eine vorübergehende Ausnahmesituation spiegelt – oder zeichnen sich hier die Umrisse der künftigen Weltordnung ab, die über Jahrzehnte Bestand haben wird?

Bundesfinanzminister Peer Steinbrück dämpft die Erwartungen. Das Treffen sei kein neues „Bretton Woods“, sagt er in Anspielung auf den Ort, wo die bisher geltende Finanzordnung mit IWF und Weltbank 1944 aus der Taufe gehoben worden war. Diese Hoffnung nennt er „überzogen“. Andererseits müssten Korrekturen aus der Krise folgen. Den Abschwung durchstehen und dann alles lassen, wie es ist, das wäre „unterzogen“.

Während die Staats- und Regierungschefs, darunter Kanzlerin Angela Merkel, im „State Dining Room“ des Weißen Hauses geräucherte Wachteln, Thymianlamm und Vermont Brie zu dreierlei Weinen genossen, haben Steinbrück und Kollegen auf Einladung des US-Finanzministers Henry Paulson gespeist: im „Cash Room“ des Treasury, wo heute freilich keine üppige Barschaft mehr lagert. Gut gelaunt und zu Scherzen aufgelegt, plaudern Merkel und Steinbrück danach mit Journalisten. Nach ihrer inneren Uhr ist es längst nach vier Uhr morgens, sie sind am Freitag aus Deutschland eingeflogen.

Der Übergang zur neuen Ordnung ist noch ganz am Anfang, nichts ist besiegelt, alle suchen nach ihren Rollen. Das lässt sich den amerikanischen Samstagszeitungen entnehmen. Mit viel Selbstbewusstsein treten die Schwellenländer auf. Aus ihrer Sicht leiden sie unter einer vom Westen verursachten Krise. Sie fordern mehr Mitsprache. Ob sie auch auf Dauer mehr Verantwortung übernehmen wollen, selbst wenn das nicht unmittelbar ihren Interessen dient, ist eine offene Frage. Europa möchte die Debatte auf die Ursachen der Krise lenken, auch um die USA dahin zu bringen, eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte mitzutragen. Bush habe einen Hauch von Schuldbewusstsein erkennen lassen mit seiner Bemerkung, es sei ja bekannt, wo die Krise ihren Ursprung habe. Freilich hat er in typischem Optimismus den Entwurf der Abschlusserklärung schon beim Dinner als „damned good paper“ gelobt.

Auch die USA sind im Übergang. Wenn die vom Gipfel eingesetzte Arbeitsgruppe Ende März ihre Vorschläge zu Korrekturen der Finanzordnung vorlegt, wird Bush Geschichte sein und Barack Obama im Weißen Haus sitzen. Er nimmt am Gipfel nicht teil, hat aber Ansprechpartner für die Gäste benannt: Ex-Außenministerin Madeleine Albright, den republikanischen Abgeordneten Jim Leach und seinen außenpolitischen Berater Phil Gordon. Merkels außenpolitischer Berater Christoph Heusgen und Regierungssprecher Ulrich Wilhelm haben einen Termin bei ihnen.

Die Obama-Abgesandten hörten zu, sagten aber wenig dazu, welchen Kurs der „President elect“ einschlagen wolle, heißt es über diese Gespräche. Jemand, der sich in der Sprache der Physik auskennt, prägt die schöne Formulierung, Obama sei „semipermeabel“: Er nehme auf, lasse aber nichts heraus. In ein paar Wochen wird man wissen, welche Lager und welche Argumente Gehör beim nächsten Präsidenten gefunden haben.

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