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Frauen mit ganz unterschiedlichen Biografien: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, Kanzlerin Angela Merkel und Feministin Alice Schwarzer.

© imago/Christian Thiel

Weltfrauentag: Unterschiedliche Schwestern

Als die Mauer fiel, trafen die arbeitenden Frauen (Ost) auf die emanzipationsbewegten Frauen (West) – und stellten fest, dass sie sich nichts zu sagen hatten. Nicht mal am Frauentag! Und 25 Jahre später?

Von Antje Sirleschtov

Gleichberechtigung, feministische Selbstbestimmung, die „Hälfte der Welt“. Mindestens! So lauteten sie, die Ansprüche der Frauenbewegung – West. Für uns Frauen im Osten klang all das damals, in den Wendezeiten, fremd und elitär. Zwischen Weimar und Rostock machten gerade reihenweise die Firmen dicht. Nicht wenige von uns träumten vom neuen und gerechten Sozialismus, den wir nun aufbauen würden. Und selbst der nahe Weg zur Wiedervereinigung machte uns um unsere Situation als Frauen am wenigsten bange. Wir hatten unsere Ausbildung, unser Auskommen und standen auf den Plätzen und in den Kirchen Arm an Arm mit den Männern. Unsere Sorgen waren profan: Was wird aus unseren Jobs, was sollten wir mit unseren Kindern tun, wenn jetzt auch die Kindergärten schließen? Die „Hälfte der Welt“ war für uns Lichtjahre entfernt.

Das war die Stunde null der gesamtdeutschen Frauenbewegung. Oder doch nicht? Als ich mit Ende 20 den ersten Fuß in den Westen setzte, es war der Sommer 1989 und das spätere Ende der DDR war auf den Straßen schon spürbar, da geriet die Begegnung mit gleichaltrigen Frauen aus der Nähe von Hannover zu einer frauenpolitischen Ernüchterung. Wir verstanden uns einfach nicht. Schlimmer noch: Wir hatte uns nichts zu sagen.

Fremde Welten: Zwei junge Frauen mit kleinen Kindern begegneten mir, beide im Begriff, sich von ihren Ehemännern zu trennen. Und was bewegte sie? Tabellen und Anwälte, um möglichst viel Unterhalt aus denen herauszupressen. Und die Frage nach dem künftigen Status in ihrem Umfeld, danach, was wohl die Freundinnen, die Mütter und was die Nachbarn dazu sagen würden: noch keine 30 und schon geschieden, mit Kind. Nur über eines, darüber sprachen die beiden nicht: über sich und ihre abgeschlossenen Berufsausbildungen und darüber, was sie jetzt mit ihrer Jugend und ihren Berufen anfangen würden.

Arbeiten statt Abhängigkeit

Verdient eigenes Geld, riet ich damals, für euch und eure Kinder. So hatte ich es von meiner Mutter erfahren, und mit diesem Selbstverständnis war ich in der DDR aufgewachsen. Und erntete damit hier im Westen nur Kopfschütteln: Arbeiten gehen, Selbstbestimmung statt Abhängigkeit vom Unterhalt? „Und was, bitte schön“, schlug mir entgegen, „was sollen wir mit unseren Kindern machen?“ So sah sie also aus im wahren Leben, die berühmte Emanzipation, die wir bis dato nur in Gestalt der Alice Schwarzer in den West-Programmen im Fernsehen kannten.

Nun sind 25 Jahre vorbei, und wir begehen in Ost und in West am 8. März wieder einen gemeinsamen Internationalen Frauentag. Die einen (Ost) eher aus alter Gewohnheit und die anderen (West) eher im inneren Protest zum Muttertag. Es wird Zeit für eine Zwischenbilanz. Wo kommen wir her – frauentechnisch gesehen –, und was haben wir erreicht in diesen 25 Jahren, gemeinsam.

Ganz oberflächlich gesehen sind wir weit gekommen. Im Kanzleramt sitzt seit Jahren eine Frau aus dem Osten, im Westen betreiben inzwischen selbst Kirchen ohne Murren Kindertagesstätten, und die Quotenfrage, auch die ist irgendwie gerade gelöst worden. Man könnte also resümieren: 25 Jahre wiedervereinigte Frauenbewegung hat uns vom Osten her Angela Merkel und vom Westen her Ursula von der Leyen und uns alle gemeinsam der „Hälfte der Welt“ wesentlich nähergebracht. Aber stimmt das auch?

Noch nicht eins

Angela Merkel ist eine Frau, die Helmut Kohl Anfang der 90er Jahre zum Entsetzen der emanzipationsbewegten West-Frauen väterlich als sein Vorzeige-„Mädchen“ aus dem Osten tätschelte, und der bis heute Tränen in den Augen stehen, wenn sie „Die Legende von Paul und Paula“ ansieht, was ein Defa-Film mit frauenrechtlich ziemlich fragwürdiger These ist: Macht euch nichts aus euren Hilfsjobs und den unehelichen Kindern, Mädels, Hauptsache, ihr findet das großes Glück an der Seite des geliebten Mannes. Emanzipationsfaktor also gleich null.

Und was haben, andersherum, Ursula von der Leyen und ihr Kampf für Kitas und die Quote in den Führungsetagen den Frauen mit Ost-Biografie zu sagen? Herzlich wenig. Flächendeckende Kitaangebote gehören seit mindestens zwei Generationen zu unserem Alltag, beim Frauenmagazin „Emma“ kann man sich nicht erinnern, in den zurückliegenden 25 Jahren eine einzige ostdeutsche Redaktionsmitarbeiterin gesehen zu haben, und dem „Pro-Quote“-Verein des deutschen Journalismus verweigert sich ausgerechnet Maybrit Illner, die wohl bekannteste deutsche Journalistin mit Wurzeln in der DDR, hartnäckig. Gesamtdeutsche Interessenwahrnehmung von Frauen sieht anders aus.

Deutsch-deutsche Sprachlosigkeit

Die Gründe der deutsch-deutschen Sprachlosigkeit liegen zweifellos in der unterschiedlichen Geschichte der Generation Frauen, geboren zwischen Ende der 50er und Mitte der 70er Jahre, die heute die gesellschaftliche Entwicklung prägen. Zwar einte sie alle die wachsende Überzeugung der Elterngeneration, nach der man die Töchter zur Schule schicken und sie auf ein selbstständiges Leben vorbereiten müsse. Doch hielten die gesellschaftlichen Strukturen Westdeutschlands für die ambitionierten Hochschulabsolventinnen dieser Generation am Ende meist doch nur die Entscheidung zwischen Kind und Karriere bereit, während im Osten Erwerbsarbeit und Kinder wie selbstverständlich zusammengehörten.

Um sechs Uhr morgens öffneten die Säuglingskrippen, und bei Wind und Wetter standen junge Mütter mit ihren Kleinen vor der Tür. Wir mussten unseren Eltern die Selbstbestimmung nicht abringen. Mit dem Schimpfwort „Rabenmutter“, mit dem irgendwann die jungen Frauen im Interesse ihrer Kinder zur Wahrnehmung traditioneller Rollenaufgabe ermahnt wurden, können wir daher nichts anfangen. Anders als im Westen wäre in der DDR (beinahe) niemand auf die Idee gekommen, Frauen zu empfehlen, mit Rücksicht auf die Entwicklung ihrer Kinder die eigenen Berufsambitionen zurückzustellen.

Krippe hier und Widerstand dort

Waren wir damit aber 1989 im Clara Zetkin’schen Sinn gesprochen der „Lösung der Frauenfrage“ nähergekommen als die Schwestern im Westen? Womöglich nur insofern, als dass die breite gesellschaftliche Teilhabe, die Frauen spätestens seit den 80er Jahren in der DDR hatten, weil sie arbeiten gingen und damit der häuslichen Enge entfliehen konnten, jenen kämpferischen westdeutschen Impuls gar nicht mehr aufkommen ließ, den Frauen im Westen verspüren, weil sie den Männern die Gleichberechtigung Stück für Stück hart abringen mussten.

Mit den Schwierigkeiten, nach 15 Jahren Kindererziehung wieder ins Berufsleben zurückkehren zu müssen, ohne angemessenen eigenen Rentenanspruch dazustehen oder zum Opfer des steuerlichen Ehegattensplittings zu werden, mussten wir uns im Osten nicht herumschlagen. Weil aber Frauen im Westen die Summe all dessen als Bedrückung und Entrechtung begriffen und daraus Widerstand entwickelt haben, verstanden wir sie oft nicht. Schließlich gingen wir arbeiten und abtreiben, wenn wir wollten, niemand verwehrte uns einen Betreuungsplatz für unsere Kinder. Wofür und vor allem gegen wen sollten wir also auf die Straße gehen?

Anfang 1990 besuchten zwei Redakteurinnen der „Taz“ die DDR-Frauenministerin (es war die erste mit dieser Amtsbezeichnung überhaupt) Christa Schmidt und wollten bei ihr den feministischen Puls der Ostschwestern prüfen. Es entstand ein Interview, das die Gräben besser hätte nicht ausleuchten können. Auf die Frage der Taz-Redakteurinnen, ob denn die Ost-Frauen keine Angst hätten, man nehme ihnen bei der Wiedervereinigung ihre Abtreibungsrechte, konnte Christa Schmidt nur lachen: Das würde sich keiner trauen, sagte sie mit großer Selbstsicherheit. Und andersherum herrschte blankes frauenpolitisches Entsetzen, als wir uns in der Öffentlichkeit selbst als „Ingenieure“ oder „Journalisten“, also in der „männlichen“ Bezeichnungsform, vorstellten. Und das manchmal aus Versehen noch heute (zugegeben: mit ein bisschen Unwohlsein) tun.

Befreiung der Frau

Emanzipierter sind wir damit aber noch lange nicht. Und wir waren es auch nicht, als die Mauer im November 1989 fiel. Auch, wenn die hohen Erwerbstätigenzahlen der Frauen in der DDR und das dichte Netz der Kinderbetreuung das unterstellen könnten. Ein Rückblick: Als die alten Männer an der Spitze der DDR-Regierung Anfang der 60er Jahre über Familienförderung nachzudenken begannen, hatten sie in erster Linie die emanzipatorischen Utopien eines August Bebel im Hintergrund.

Der hatte zur Jahrhundertwende die Befreiung der Frau vom Joch der Hausarbeit und Kinderaufzucht zur zentralen Aufgabe erklärt und die Lösung in der Einrichtung kommunaler Suppenküchen und Bügelstuben erkannt, wie es sie zum Beispiel bis in die 90er Jahre hinein in Teilen der Sowjetunion und Bulgariens gab, wo man wochentags in zentralen Kochstellen des Wohngebiets warmes Essen für die Familien gegen kleines Entgelt abholen konnte, damit die Mütter ihre Arbeitskraft nicht am Herd vergeuden mussten.

Und auch die DDR hatte nicht die Frau, sondern nur ihre Arbeitskraft im Sinn, als sie in den 60er Jahren das Lied „Wenn Mutti früh zur Arbeit geht“ komponieren und den Schulkindern beibringen ließ. Es handelt davon, Mutti vom Putzen, Einkaufen und Kochen zu entlasten, wenn sie arbeiten geht. Die Rolle von „Vati“ im DDR-Alltag kam in dem Propagandalied nirgendwo vor. Seine Rolle bei der Gleichstellung der Frau blieb bis zuletzt im Dunkeln. Hausarbeit und Kinderbetreuung waren Frauensache.

Gewiss, mit großzügigen Krankschreibungsregeln und einem monatlichen bezahlten „Haushaltstag“ für Ehefrauen und Mütter wurde das Doppeljoch der Frauen aus Beruf und Familie über die Jahre hinweg erträglicher gemacht. Und Ende der 80er Jahre mussten sich Frauen auch nicht mehr rechtfertigen, wenn sie nicht wenige Wochen nach der Geburt zum Arbeitsplatz zurückdrängten. Aber das „Teilen der Welt“ hat auch in der DDR nicht stattgefunden.

Der Mythos der emanzipierten DDR-Frau

Und die Frauen? Hatten das Kämpfen verlernt. Der gesellschaftliche Mehltau des real existierenden Sozialismus hatte sich zuletzt auch über sie gelegt. Sie hatten sich irgendwie eingerichtet zwischen Arbeitsplatz und dem täglichen Kampf um guten Kaffee.

Als sich im Winter ’89 in Jena ein neu gegründetes Frauenforum traf und über die Zukunft der Gleichstellung sprechen wollte, da wurde der Begriff „Feminismus“ zum Unwort erklärt. Zurück an den Herd? Nein, das wollte keine Frau. Aber mit männerbekämpfenden Emanzen wollte eben auch niemand etwas zu tun haben.

Unterschiede zwischen den Geschlechtern

Über die wirklich wichtigen Fragen aber – es sind übrigens die bis heute aktuellen – wurde nicht gesprochen. Darüber, warum Frauen nicht oder nur äußerst selten in relevante Führungspositionen gelangten. Oder den deutlichen Lohnunterschied von Männern und Frauen – alles Realität bereits in der DDR. Auch dort stand die Frau meistens „an der Seite“ ihres Mannes. Dabei mag es ihr besser ergangen sein als ihrer Schwester im Westen, weil sie eigenes Geld verdient und unabhängige gesellschaftliche Kontakte gefunden hat. Aber mit jedem neuen familienpolitischen Instrument (vom erhöhten Kindergeld bis zum Ehekredit, der „abgekindert“ werden konnte) wurden die Frauen stärker in ihre Familienrolle zurückgedrängt. Das vorwiegend im Westen publizierte Bild von der selbstbewussten, emanzipierten DDR-Frau, die den Männern in allen Wirtschaftsbereichen das Wasser reichen konnte, das ist ein Mythos.

Vor einem gesamtdeutsch-emanzipatorischen Scherbenhaufen stehen wir allerdings nicht. Im Gegenteil. Unlängst berichtete eine Freundin (Ost), die mit ihrer Familie nach Baden-Württemberg gezogen ist, dass ihre Kinder neuerdings in der Kita sogar Mittagessen bekommen und nicht mehr um zwölf Uhr abgeholt werden müssen. Und obwohl sie jeden Tag arbeiten geht, findet sie Unterstützerinnen in der Nachbarschaft, werden ihr keine bösen Blicke zugeworfen.

Die Gesellschaft lernt

Frauen in Ost und West lernen voneinander. Vor allem aber, und das ist das Wichtigste: Die Gesellschaft lernt insgesamt, welche Voraussetzungen nötig sind, damit Frauen eigenständige Wege im Beruf und in der Familie finden können. Das bloße Vorhandensein eines dichten Netzes für Kinderbetreuung ist eine Grundvoraussetzung, aber längst nicht hinreichend. Erst die Schaffung eines gesellschaftlichen Klimas, das Väter und Mütter zu gleichberechtigten und gleich verantwortlichen Partnern im Familienleben macht, wird Frauen die notwendigen Freiräume dafür schaffen, ihre Vorstellungen von einem selbst gewählten Leben zu verwirklichen. Die zunehmende Akzeptanz der Vätermonate beim Elterngeld ist ein Anfang, die Erweiterung der Flexibilität für Teilzeitarbeit auch in Führungspositionen wird folgen müssen.

Unsere Töchter werden ihr Selbstverständnis als Frauen nicht mehr in erster Linie aus der Herkunft der Mütter definieren, Ost oder West spielt nur noch eine untergeordnete Rolle. Für ihren Platz in der Gesellschaft wird wichtig sein, dass sie die Freiheit zur eigenen Entscheidung haben, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen, vor den Männern, vor den Eltern oder dem Umfeld. Ob sie nun an die Spitze von Unternehmen drängen, ihre Kinder zu Hause erziehen oder das eine und das andere verbinden wollen. Denn die „Hälfte der Welt“ kann ziemlich viele unterschiedliche Gesichter haben.

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