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Vorher und nachher. Die Schauspielerin Hülya Avsar in ihrer gewohnten Erscheinung und in der Rolle einer vom Ex-Mann geprügelten Frau.

© Stadtverwaltung Zeytinburnu

Weltfrauentag: Mit Schock-Fotos gegen Gewalt an Frauen

Zerzauste Haare, blaue Augen und blutige Wunden: Mit einer drastischen Foto-Kampagne soll auf die alltägliche Gewalt gegen Frauen in der Türkei aufmerksam gemacht werden - prominent unterstützt.

Das Haar ist zerzaust, die Augen sind blutunterlaufen – und am Hals von Meltem Cumbul klafft eine blutige Wunde. Für Fans der türkischen Schauspielerin, die in Deutschland unter anderem durch den Fatih-Akin-Film „Gegen die Wand“ bekannt wurde, ist das Bild ein Schock. Und soll es auch sein. Cumbul ist eine von acht prominenten Frauen in der Türkei, die mit Hilfe von Maskenbildnern für eine Fotoserie in die Rolle geschundener Opfer von Gewalt gegen Frauen geschlüpft sind. „Acht Frauen – acht Leben“ ist eine Aktion der türkischen Behörden zum Weltfrauentag am 8. März.

Die Teilnahme der prominenten Künstlerinnen hat eine große öffentliche Aufmerksamkeit ausgelöst. Doch Kritiker werfen der Regierung unter Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan vor, sie unternehme nicht genug zur Bestrafung der Täter und zur Betreuung der Opfer.

„Ich hätte sie sein können“, heißt das Motto der Fotoserie, die in diesen Tagen in allen türkischen Zeitungen abgedruckt wurde. Jede der bekannten Künstlerinnen steht für das Schicksal einer ermordeten Frau. Meltem Cumbul erinnert mit ihrem Foto an das Schicksal von Ceylan Soysal, einer 21-Jährigen aus dem südtürkischen Adana, die vor zwei Jahren von ihrer Familie wegen eines angeblichen Verstoßes gegen die Familienehre ermordet wurde.

Das Haar ist zerzaust, die Augen sind blutunterlaufen und am Hals klafft eine blutige Wunde. Auch die Schauspielerin Meltem Cumbul stand für die Schock-Foto-Kampagne gegen Gewalt an Frauen vor der Kamera.
Das Haar ist zerzaust, die Augen sind blutunterlaufen und am Hals klafft eine blutige Wunde. Auch die Schauspielerin Meltem Cumbul stand für die Schock-Foto-Kampagne gegen Gewalt an Frauen vor der Kamera.

© Stadtverwaltung Zeytinburnu

Die vielleicht drastischste Veränderung zeigt Hülya Avsar, ein türkischer Superstar. Avsar, von vielen Türken als zeitlose Schönheit verehrt, trat mit dick aufgetragenen blauen Flecken und geschwollenen Augen vor die Kamera. Sie steht für Ayse Pasali und deren schreckliches Schicksal: Mit deutlichen Prügelspuren im Gesicht erflehte Pasali vor drei Jahren den Schutz der Justiz vor ihrem geschiedenen Ehemann.

Die Richter lehnten Personenschutz ab – kurz darauf wurde Pasali von ihrem ehemaligen Mann erstochen, weil sie die Scheidung durchgesetzt hatte. Pasali sei gewissermaßen vor aller Augen ermordet worden, sagte Avsar dem türkischen Nachrichtensender NTV. Murat Aydin, Bürgermeister des Istanbuler Stadtteils Zeytinburnu und Initiator der Foto-Aktion, hofft auf die abschreckende Wirkung der Bilder. „Nichts rechtfertigt Gewalt“, erklärte Aydin. Bei der offiziellen Vorstellung der Aktion am kommenden Donnerstag wird auch Emine Erdogan erwartet, die Ehefrau des türkischen Ministerpräsidenten.

Nicht immer zeigte die offizielle Türkei so viel Anteilnahme am Schicksal weiblicher Gewaltopfer. Erst im vergangenen Jahrzehnt wurde ein Gesetz gestrichen, das Vergewaltigern bei Heirat mit ihren Opfern die Straffreiheit zusicherte. Kritiker wie der bekannte Frauenrechtler Hayrettin Bulan beklagen, dass die Justiz auch heute noch bei Fällen von Gewalt gegen Frauen nur selten eine Untersuchungshaft anordnet und die Opfer damit in Lebensgefahr bringt. Bulans Frauenverband hat deshalb vor einiger Zeit mit einem speziellen Schusswaffentraining für Frauen begonnen.

Eine Bewaffnung der Opfer mag ein radikaler Weg sein, doch andere Maßnahmen greifen bisher nicht. Das von der EU unterstützte Internetportal Bianet zählte im vergangenen Jahr 165 Fälle von tödlicher Gewalt von Männern gegenüber Frauen in der Türkei – ein Todesfall alle zwei Tage. Trotz dieser blutigen Bilanz reagiert der türkische Staat bislang nur sehr zögernd. So kommt der seit langem versprochene Ausbau der Frauenhaus-Plätze nicht richtig voran. Die Tageszeitung „Taraf“ berichtete am Dienstag, dass sich in einem Istanbuler Frauenhaus 70 Frauen die derzeit 20 vorhandenen Betten teilen müssten.

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