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In einem Flüchtlingslager bei Mogadischu: eine Mutter mit ihrem Kind. Nach UN-Angaben sind etwa 3,7 Millionen Menschen, davon die Hälfte aus Somalia, von der Hungersnot am Horn von Afrika betroffen. Foto: Reuters

© dapd

Welthungerhilfe-Präsidentin: „Somalia braucht eine politische Lösung“

Welthungerhilfe-Präsidentin Dieckmann über das Leben im weltgrößten Flüchtlingslager und die Frage humanitärer Interventionen

Frau Dieckmann, Sie sind mit Entwicklungsminister Dirk Niebel durch Kenia gereist und haben sich auch das weltgrößte Flüchtlingslager in Dadaab angeschaut. Wie kritisch ist die Lage vor Ort?

Insgesamt sind etwa zwölf Millionen Menschen von der Dürre betroffen. Ihre Lebenssituation hat sich dramatisch verschlechtert. Für sie gibt es derzeit Nothilfe und auch langfristige Hilfe ist möglich. Ganz anders sieht es in Dadaab aus. Dort leben inzwischen mehr als 400 000 somalische Flüchtlinge. Die Eindrücke sind sehr bedrückend. Die Menschen haben zwar dort eine Grundversorgung, aber viele Kinder und Frauen sind unterernährt. Viele Frauen sind allein gekommen, weil die Männer irgendwo im Krieg in Somalia sind. Dort kann es nur eine konzentrierte Nothilfe geben. Ich glaube nicht, dass 400 000 Menschen auf Dauer an diesem Ort tatsächlich eigenständig leben können.

Das Lager existiert ja schon seit mehr als 20 Jahren. Es gibt Menschen, die in dritter Generation dort leben.

Ja, aber sie ernähren sich dort eben nicht selbst. Wir haben bei unserem Besuch auch die Gastgebergemeinde getroffen, die Nomaden, die früher in der Region gerade eben überleben konnten. Das sind 40 000 bis 45 000 Menschen. Die Ernährungsgrundlage in diesem früher semi-ariden Gebiet hat gerade so gereicht. Für sie ist das Lager eine riesige Belastung. Deshalb muss die Politik, die Afrikanische Union, aber auch die Vereinten Nationen auf eine politische Lösung in Somalia drängen. Im Lager haben wir gehört, dass die Menschen gerne zurückkehren würden, wenn in Somalia Frieden und ein Mindestmaß an Stabilität herrschen würden.

Gibt es denn Vorschläge für eine politische Lösung?

Unsere Gesprächspartner in Kenia haben gesagt, dass es einen verhaltenen Optimismus gibt. Die Lage ist inzwischen so katastrophal, dass bei allen, auch den afrikanischen und arabischen Nachbarstaaten die Einsicht gewachsen ist, dass es eine Lösung für Somalia braucht. Die islamistischen Al-Shabbab-Milizen haben sich jetzt aus der Hauptstadt Mogadischu zurückgezogen. Es ist noch nicht klar, ob das eine Chance für eine Lösung sein kann. Ich weiß natürlich auch, dass es seit mehr als 20 Jahren Krieg und Unruhen in Somalia gibt und die Hoffnungen auf Frieden bisher nie in Erfüllung gegangen sind. Aber ich hoffe, dass sich die Weltgemeinschaft jetzt angesichts der 1200 Flüchtlinge, die immer noch täglich in Kenia ankommen, und angesichts des riesigen Elends doch zusammenschließt.

Das würde voraussetzen, dass die Weltgemeinschaft bereit wäre, nicht nur einen diplomatischen Dreimonatseinsatz anzubieten, sondern etwas länger dranzubleiben.

Das glaube ich auch. Ich habe da das Beispiel Sudan vor mir, wo auch noch nicht alles geklärt ist und die rückkehrenden Flüchtlinge aus dem Norden eine riesige Herausforderung für den neuen Staat Südsudan sind. Aber dort wurde nach vielen Jahrzehnten blutiger Kämpfe eine politische Lösung erreicht. Vielleicht wäre eine solche Lösung auch für Somalia möglich. Somalia hat ja einen großen Vorteil. Es ist das einzige afrikanische Land, in dem nur eine einzige ethnische Gruppe mit einer gemeinsamen Religion lebt. Es sind Clanstrukturen, keine ethnischen Konflikte. Die Somalier haben auch ein Selbstbewusstsein, was ihren Staat betrifft. Bis dahin müssen die 400 000 Menschen in Dadaab versorgt werden. Das geht nur mit einer guten Logistik, an der sich alle beteiligen müssen.

Ihr Kollege Klaus Töpfer hat das Stichwort humanitäre Intervention in die Debatte gebracht. Was halten Sie davon?

Humanitäre Interventionen in Somalia sind in der Vergangenheit nur sehr schwer möglich gewesen. Es gibt wenige Organisationen, die in Somalia gearbeitet haben. Einige sind in Somaliland, dem selbst ernannten, aber bisher nicht anerkannten Kleinstaat im Norden Somalias, vertreten. Auch in der halbautonomen Nachbarprovinz Puntland sind Hilfsorganisationen tätig. Auch die Welthungerhilfe arbeitet in Somaliland. Zudem arbeiten wir gemeinsam mit der Hilfsorganisation Concern in Mogadischu. Eine langfristige Arbeit ist aber nur möglich, wenn sich die Sicherheitslage verbessert.

Was heißt das konkret?

Man muss die Somalier in ihrem Land unterstützen, damit sich nicht noch mehr auf den Weg machen müssen. So weit bin ich hundertprozentig einverstanden mit dem, was Professor Töpfer gefordert hat. Wir müssen nun prüfen, ob durch die veränderte Situation in Mogadischu durch den Rückzug der Milizen, eine kontinuierliche Versorgung von Menschen in Somalia tatsächlich wieder möglich wird. Dann sollte man das tun.

Was erwarten Sie vom Gipfel der Afrikanischen Union, der am 25. August stattfinden soll?

Wir erwarten, dass der Gipfel über die Ernährungssituation spricht, dass auch die AU Angebote macht, wie man Nahrungsmittel besser verteilen kann. Es ist ja immer noch so, dass beispielsweise in Kenia oder Äthiopien in einigen Regionen gute Ernten eingefahren wurden, es aber nicht gelingt, diese Nahrungsmittel auch dorthin zu bringen, wo sie gebraucht werden. Vor allem aber erwarten wir einen Vorschlag der Afrikanischen Union für eine Friedenslösung in Somalia. Denn für Kenia und Äthiopien ist es nur schwer vorstellbar, dass sie dauerhaft hunderttausende Somalier in ihre Gesellschaften integrieren können. Man darf nicht vergessen dass beide Gastländer selbst von der Hungerkrise betroffen sind.

Das Interview führte Dagmar Dehmer.

Bärbel Dieckmann (62) ist seit 2008 Präsidentin der Welthungerhilfe. Von 1994 bis 2009 war die SPD-Politikerin OB der Stadt Bonn. Sie war gerade mit Entwicklungsminister Niebel in Kenia.

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