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Teilnehmer der Eröffnungszeremonie beim Weltsozialforum in Montreal.

© AFP

Weltsozialforum: Angekommen im Mainstream

Das Weltsozialforum verliert an Bedeutung, weil die dort diskutierten Themen mittlerweile überall verhandelt werden. Eine Analyse.

Fans der gedanklichen Verknappung könnten anmerken, dass damit schon alles gesagt sei: Das Weltsozialforum, 2001 in Brasilien gegründet als Gegenbewegung zum Weltwirtschaftsforum, findet bei seiner 15. Wiederauflage in Kanada statt – und damit erstmals in einer Industrienation.

Nach dieser Gegenbewegungslogik sind Industrienationen das Reich der bösen, umwelt- und menschenzerstörenden Kapitalisten, also eigentlich eine Art naturgegebenes Feindesland für die Verfechter der vielen guten anderen Wege, der Weltgerechtigkeits- und sozialen Nachhaltigkeitsprediger. Aber das ist vorbei.

Die Gegensätze haben ihre Konturen verloren

Der Gegensatz von damals hat seine Schärfe verloren, seine Konturen sind verwischt. Die Themen, die erst nur einzelne Umwelt- oder Bürgerverbände vorantrieben, die dann zunehmend von den ungezählten NGOs aufgenommen wurden, und die zuletzt Schlagwörter lieferten für die jährlich stattfindenden Weltsozialforen, sind im Mainstream angekommen.

Die Vorträge und Diskussionen, die nach der Eröffnung am Mittwoch nun bis Ende der Woche in Montreal stattfinden sollen, widmen sich der Jugendarbeitslosigkeit, der Armutsbekämpfung, Flüchtlingsschutz, Umweltschutz und Klimawandel. Brauchen diese Themen wirklich eine besondere Behandlung? Stehen die nicht ohnehin überall auf der Agenda?

Die Wirtschaft hat ihre Kritiker umarmt

Der Eindruck wird jedenfalls vermittelt. Die globalisierte Wirtschaft hat es geschafft, den Protest gegen ihr Grundnahrungsmittel, die Wachstumsideologie, so fest zu umarmen, dass dem über die Jahre die Puste ausging. Zu den ersten Weltsozialforen, die in Entwicklungs- und Schwellenländern stattfanden, reisten um die 100 000 Aktive, die Kanadier erwarten noch die Hälfte, am Eröffnungsprotestzug nahmen gerade mal 5000 Personen teil.

Auf der anderen Seite setzen Unternehmen öffentlichkeitswirksam auf Nachhaltigkeits-, Sozial- und sonstige Freundlichkeitsstrategien, Regierungen fördern Entsprechendes. Sie signalisieren, die Sorge um den Weltzustand vereine am Ende doch alle Menschen. Und so klingen heute schon die Begriffe Weltwirtschaftsforum und Weltsozialforum weit weniger gegensätzlich als Anfang des Jahrtausends, als die Globalisierung und ihre Folgen vor allem die möglicherweise existentielle Bedrohung durch unkontrollierbare Supraorganisationen und Megakonzerne waren, die ganz nach Belieben übertrieben oder heruntermoderiert werden konnten. Solche Globalisierungsfolgenszenarien scheinen 15 Jahre später ihre Erschütterungskraft verloren zu haben – dabei existieren die grundsätzlichen Probleme weiter. Ob sie als lösbar oder als betrübliche, aber leider nur marginal beeinflussbare Gegebenheiten angesehen werden, das ist die Frage, auf die bisher keine verlässliche Antwort gegeben wurde.

Die Probleme sind nicht kleiner geworden

Als dazu passende Mahnung wurde gerade erst der vergangene Montag zum diesjährigen „Welterschöpfungstag“ erklärt, also zu dem Tag, an dem der Mensch die ökologischen Ressourcen des Planeten überschreitet, an dem er der Erde mehr Rohstoffe entnommen hat, als sie dauerhaft nachproduzieren kann, und ihr mehr Abfallstoffe aufgeladen hat, als sie absorbieren kann. Der Tag rutscht Jahr für Jahr im Kalender nach vorn. 1971 war der Tag am 24. Dezember. Arme Erde? Nein. Arme Menschen. Um die sollte es doch gehen.

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