zum Hauptinhalt

Politik: Weniger als Hartz IV soll sittenwidrig sein

Einen Mindestlohn lehnt die Union ab. Müntefering will eine Brücke schlagen: Wer arbeitet, soll mehr haben als der, der nicht arbeitet

Von

Man kann das Ergebnis der Arbeitsgruppe „Niedriglohn“ von SPD und Union nach knapp einem Jahr Verhandlungen mit Fug und Recht als niederschmetternd für den SPD-Arbeitsminister und Vizekanzler Franz Müntefering bezeichnen. Auf den ersten Blick jedenfalls. Schließlich war das Ziel der SPD von Anfang an, dem Koalitionspartner einen allgemeingültigen gesetzlichen Mindestlohn abzuringen, unter dem fortan in Deutschland niemand mehr beschäftigt werden darf. Und dieses Ziel, das steht nun fest, haben Müntefering und die Verhandler seiner Partei nicht durchsetzen können. Denn einen solchen Mindestlohn, das beteuern die Unionspolitiker mit nicht nachlassender Intensität, den wollen sie nicht. Das einzige Zugeständnis, das Müntefering dem Unionsverhandlungsteam unter Leitung von Kanzleramtsminister Thomas de Maizière abringen konnte, ist ein gesetzliches Verbot von sittenwidrigen Löhnen. Im Bericht der Arbeitsgruppe, den der Arbeitsminister in der zweiten Maiwoche dem Kabinett vorlegen will, bestätigt die Unionsseite das. Auch sie will eine untere Schranke finden, ab der ein Lohn sittenwidrig ist. Kabinett und Koalitionsrunde sollen die Details bestimmen.

Franz Müntefering hat diesen Strohhalm der Union nun aufgegriffen. „Wenn die Union nicht über Mindestlöhne sprechen will“, sagte er, „dann sprechen wir eben über die unterste Grenze von Sittenwidrigkeit“. Und er nennt diese Grenze einen „Auffang-Mindestlohn“, denn als solcher würde das Sittenwidrigkeitskonstrukt am Ende in der Praxis auch wirken. Als „eine Brücke für die Union“ bezeichnet der Minister diesen Weg.

Im Bundestag hat Müntefering am Donnerstag denn auch seine Vorstellungen von der Höhe dieses Sittenwidrigkeits- oder Auffang-Mindestlohnes kundgetan. Und Beobachter der Union haben mit einiger Sorge vernommen, dass der SPD-Minister dabei die arbeitsmarktpolitischen Grundsätze der Union beinahe wörtlich übernahm. „Wer arbeitet“, sagte er, „der muss mehr haben als der, der nicht arbeitet“. Weshalb für Müntefering klar ist, sittenwidrig sollen fürderhin Löhne sein, die „unter der Grenze vom Arbeitslosengeld II liegen“.

Ganz nebenbei ist das auch exakt der Wert, den CSU-Wirtschaftsminister Michael Glos zu Beginn der Koalitionsverhandlungen als faktischen deutschen Mindestlohn definiert hat. Mathematisch hieße das: 345 Euro plus Mietzuschuss. Und wenn es nach der SPD geht, dann kommt noch ein kleines x obendrauf. Auf Stundenbasis umgerechnet wären das rund 6,50 Euro. Wobei Müntefering am Donnerstag ausdrücklich darauf hinwies, dass damit auch bestehende Tarifverträge, deren Abschlüsse niedriger liegen, sittenwidrig wären. „Die müssen dann weg“, sagte er.

Kaum Bewegung – weshalb höchstwahrscheinlich auch darüber in der Koalitionsspitzenrunde Mitte Mai verhandelt werden muss – hat es bisher bei der Aufnahme von weiteren Branchen in das Entsendegesetz gegeben. Müntefering will den Tarifpartnern der Dienstleistungsbranchen bis Anfang kommenden Jahres Zeit geben, einvernehmlich die Aufnahme in das Gesetz – und damit einen Branchenmindestlohn – zu beantragen. In einem Gesetz will er dann Anfang 2008 diesen Schritt vollziehen. Während die Union allerdings darauf beharrt, dass in jedem Fall der von Arbeitgebern und -nehmern paritätisch besetzte Tarifausschuss das letzte Mitspracherecht erhält, verweist der Arbeitsminister auf den bereits im Bau- und Gebäudereinigergewerbe gegangenen Weg der Rechtsverordnung des Ministeriums. Beide Branchen haben nämlich bereits einen Mindestlohn qua Entsendegesetz – und zwar ohne Zustimmung des Tarifausschusses.

Mehr als fünfmal steht in Münteferings Arbeitsbericht auch ansonsten der Vermerk „ohne Einigung“. Das betrifft unter anderem neue Zuverdienstregeln bei Hartz-IV-Empfängern oder Zuschläge für Menschen, die weniger Lohn als Hartz IV erhalten. Lediglich bei Kombilöhnen für Ältere, Junge und schwerst Vermittelbare konnte der Arbeitsminister eine Einigung mit der Union erzielen. Und dennoch resümierte der Minister das Ergebnis gestern mit einem Lächeln. „Wir haben schon viel erreicht, und wir haben viel dazu gelernt.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false