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Politik: Weniger wird mehr

Von Bernhard Schulz

Die Prognosen sind niederschmetternd. Bleibt die bisherige Abwanderungstendenz konstant, werden die neuen Bundesländer bis 2050 die Hälfte ihrer derzeitigen Bevölkerung verlieren. Als noch dramatischer erweist sich dieses Globalszenario beim Blick auf einzelne Städte und Gemeinden. Da werden vielfach bereits bis 2010 Verluste von einem Viertel der Bevölkerung hochgerechnet – nach den bereits eingetretenen Rückgängen seit der Wiedervereinigung. Auf DeIndustrialisierung folgt De-Urbanisierung. „Schrumpfende Städte“, lautet das griffige Schlagwort. Noch verbreitet es Angst, statt als Ansporn zu städtebaulichem Aufschwung verstanden zu werden.

Über eine Million Wohnungen im Osten stehen leer. Bis einschließlich 2009 wollen Bund, Länder und Gemeinden 2,7 Milliarden Euro für das Förderprogramm „Stadtumbau Ost“ bereitstellen. Die paritätische Verteilung der Mittel auf Instandsetzung und Abriss lässt sich schon jetzt nicht mehr einhalten: Die Beseitigung von jährlich 45 000 Wohneinheiten kommt teurer als gedacht. Und dieser unumgängliche Abriss beschränkt sich durchaus nicht auf unsanierte Altsubstanz. Mittlerweile müssen selbst aufwändig auf West-Standard gebrachte Plattenbauten abgestoßen werden.

Doch über das deprimierende Abrissprogramm hinaus mehren sich Zeichen des Umsteuerns. Stadtväter beginnen, das Schrumpfen ihrer Kommunen als Chance zu begreifen. Das rasante Wachstum im Zuge der Industrialisierung hat vormals lebendige Zentren urbaner Kultur zu monofunktionalen Produktionsstätten verschandelt. Allerorten kündeten normierte Plattenbauten vom Sieg der industriellen Fertigbauweise – über den Wunsch nach individueller Lebensweise, aber auch über gestaltete Architektur. Hier liegt die Chance des Schrumpfens: dass die Städte und Gemeinden ihr unverwechselbares Gepräge zurückgewinnen. Sie können mit anspruchsvollen Neubauten – vor allem der öffentlichen Hand – beweisen, dass ihre Zukunft nicht bloß in nostalgisch verklärter Rückschau auf eine schöne Vergangenheit liegt. Sondern dass eine lebenswerte Gegenwart – eine, die Menschen Perspektiven fürs Dableiben eröffnet – aus der Verbindung der Bewahrung von historischem Erbe mit den besten Leistungen des Heute besteht.

In dieser Hinsicht machen insbesondere die Universitäts- und Bildungsstandorte in den neuen Ländern Mut. Was in jüngster Zeit zwischen Rostock und Dresden, Eberswalde und Magdeburg an Campus-Architektur, an Instituten und Bibliotheken entstanden ist, muss keinen Vergleich mit ausländischen Vorbildern scheuen. Bauten der öffentlichen Hand wie das Bundesarbeitsgericht in Erfurt oder die Landeszentralbank in Meiningen kommen als Beispiele anspruchsvoller Architektur hinzu. Sogar beim Häuslebauen im Speckgürtel der Großstädte setzen mittlerweile Bauherren mit ambitionierten Entwürfen vernehmliche Zeichen.

Gute Architektur allein kann die Probleme der schrumpfenden Stadt nicht lösen. Sie taugt noch nicht einmal als Wundpflaster für politische Ratlosigkeit. Doch eingebettet in eine realistische Perspektive angesichts der abnehmenden Bevölkerung Deutschlands kann gute Architektur enorm viel für ein positives Selbstbild der Kommunen leisten. Im Osten ist’s zu sehen – wenn man nur genau hinschaut.

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