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Politik: Wenn Astronautenkost an der Grenze liegenbleibt

SKOPJE . Das Pferdegespann gerät bedrohlich ins Wanken, als der Kutscher den zwölfeinhalb Kilo schweren Sack auf die Ladefläche wirft.

SKOPJE . Das Pferdegespann gerät bedrohlich ins Wanken, als der Kutscher den zwölfeinhalb Kilo schweren Sack auf die Ladefläche wirft. Das Tier stelzt ein paar Schritte rückwärts und muß dann schon wieder die nächste Ladung abfangen. Dem Mann ist das egal, er wird aufladen, was er bekommen kann. Er hat Hunger, und hier in Skopje bekommt Skander Nano jene Lebensmittel, die er für sich und seine Familie anders nicht auftreiben kann: 25 Kilogramm Mehl, 10 Kilogramm Bohnen, Zucker, Öl, Milchpulver, Babynahrung, Seife, Zahnpasta, Zahnbürste, Waschmittel, Shampoo, Rasierzeug. Falls nötig noch Handtücher, Bettbezüge und Laken. Einen Monat müssen Nano, seine Frau, die Schwester und zwei Kinder damit haushalten. Genauestens registriert von der Caritas und dem Malteser Notfalldienst. Die haben sich zusammengeschlossen in dem Bemühen, jenseits der Flüchtlingslager möglichst vielen vom Krieg belasteten Menschen in Mazedonien ein Stück normalen Lebens zu ermöglichen: den vertriebenen Kosovaren, den Roma und Sinti und jenen Mazedoniern, die durch den Massenexodus am Rand des Existenzminimums leben müssen.

Die Güter, die das Team um den belgischen Ex-Piloten Guy van der Bruggen in diesem kleinen Fünfzimmer-Bungalow im Schatten des besten Hotels von Skopje verteilt, stammen alle aus Mazedonien. "Im Süden gibt es noch intakte Fabriken und Bauern, die uns beliefern können", sagt er. Die Logistik haben die Amerikaner übernommen. Alle zwei Wochen halten vollbepackte Konvois vor dem Gebäude und füllen die angrenzende Lagerhalle. "Es ist schwer, aber wir sind neutral", betont van der Bruggen, "wir kümmern uns um soziale Härtefälle und scheren uns nicht um Nationalitäten." Mehr als 400 Familien, insgesamt 2500 Menschen, kommen zum Essenfassen.

Die mazedonische Regierung gibt an, durch den Krieg in Jugoslawien allein im Exportgeschäft 1,2 Milliarden US-Dollar eingebüßt zu haben. Ein Drittel des Außenhandels sei bis Kriegsausbruch mit Belgrad abgewickelt worden, sagt ein Ministeriumssprecher. Und die Versorgung der Flüchtlinge kostet den Staat rund 22 Millionen Dollar monatlich, rechnet er vor. Wieviel im Gegenzug die EU-Länder als Spontanhilfe überwiesen haben oder die Angehörigen von KFOR und Hilfsorganisationen in die Kassen bringen, kann er nicht sagen.

Regelmäßig stimmen sich die Koordinatoren und Krisenstäbe der helfenden Nationen mit der Nato und dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR ab: die UN haben die Gesamtkoordination übernommen, während die Nato militärisch führt und die Logistik bereitstellt. Das UNHCR übernimmt die humanitäre Hilfe und die Entminung des Kosovo, die Europäische Union den Wiederaufbau. Den Aufbau ziviler, gesellschaftlicher und demokratischer Strukturen soll die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) fördern. Der Rahmen also steht.

Und dennoch setzen manche Nichtregierungs-Organisationen aufs eigene Pferd: Aus Bad Pyrmont erreichte ein Hilfskonvoi für Flüchtlinge in Mazedonien in dieser Woche Sofia, wo das bulgarische Rote Kreuz alle deutschen Kollegen ablösen sollte. Die letzte Etappe von Sofia nach Skopje war den Bulgaren trotz eines großen Sicherheitsabstandes zur Kosovo-Grenze plötzlich nicht mehr geheuer. Nun sitzt der Konvoi mit 9,8 Tonnen Astronautenkost im Wert von 980 000 Mark, mit Mehl und Medikamenten an der Grenze von Bulgarien zu Mazedonien fest und beschäftigt in Bonn, Sofia und Skopje diverse Botschaften, das UNHCR und die Nato gleichermaßen.

CLAUDIA LEPPING

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