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Politik: Wenn der Dienst keine Pflicht mehr ist (Leitartikel)

Vielleicht hätte jemand vor einem guten Jahr eine Goethe-Ausgabe auf Rudolf Scharpings Nachttisch legen sollen. Der Verteidigungsminister hätte den "Zauberlehrling" gelesen und geahnt, was ihm mit der Berufung einer Wehrstruktur-Kommission blüht: Die er rief, die Geister, wird er nun nicht los.

Von Robert Birnbaum

Vielleicht hätte jemand vor einem guten Jahr eine Goethe-Ausgabe auf Rudolf Scharpings Nachttisch legen sollen. Der Verteidigungsminister hätte den "Zauberlehrling" gelesen und geahnt, was ihm mit der Berufung einer Wehrstruktur-Kommission blüht: Die er rief, die Geister, wird er nun nicht los. Im Mai legt das Gremium seinen Bericht vor. Das wird für Scharping kein Wonnetag. Die Kommission nimmt ihren Auftrag nämlich ernst. Sie versucht, sich an die Rahmenbedingungen zu halten, auch an die finanziellen. Und sie ist, auch das zeigen ihre bislang bekannt gewordenen Überlegungen, um Nüchternheit bemüht. Deutschland braucht keine Großarmee mehr zur Abwehr eines Großangriffs. Deutschland braucht Soldaten für Einsätze wie in Bosnien und im Kosovo. Diese Einheiten müssen professionell und beweglich sein. Dieses Anforderungsprofil gilt auch für die Landesverteidigung: Deutschland muss nicht mehr Angreifer auf eigenem Boden abwehren, sondern eher an fernen Grenzen. Selbst wenn Hans Eichel nicht sparen müsste - der Wehretat steht, anders als im Kalten Krieg, unter Begründungszwang.

Außen- und sicherheitspolitisch spricht alles gegen eine radikale Schrumpfkur. Aber hohe, zeitweise sogar steigende Ausgaben für Verteidigung sind nur gerechtfertigt, wenn sie zu einer Armee führen, die den außen- und sicherheitspolitischen Aufgaben gewachsen ist. Das heißt vor allem: Der Einsatz ist der Normalfall, nicht mehr das Warten auf einen unwahrscheinlichen Krieg.

Von Anfang an war die Reformdebatte überlagert vom Streit um die Wehrpflicht. Deren Befürworter haben alles in die Bresche geworfen, was es je an Gründen für den Dienst an der Waffe gegeben hat - von der angeblich nur so abzusichernden Einbindung der Armee in die Gesellschaft bis zum Nebenprodukt Zivildienst. Die Kommission geht das Thema nüchterner an. Dabei bleibt ein praktisches Argument übrig: Alle Profi-Armeen haben Probleme, gute Leute zu finden; die Wehrpflicht aber ist als "Schnupperkurs" ideal für das Rekrutieren von Zeit- und Berufssoldaten.

Aus diesen Rahmendaten ergeben sich einige Schlussfolgerungen. Eine lautet: Die Armee muss beim Personal sparen, um Geld für Investitionen in modernes Gerät zu haben. Eine zweite: Die Armee muss sich auf ihre Profis konzentrieren. Damit steht die Wehrpflicht zur Disposition. Das passt vielen nicht, auch Scharping nicht. An Versuchen, sie zu retten, herrscht kein Mangel. Manche sind untauglich, etwa ein Kurzdienst von fünf, sechs Monaten. Mit dürftig ausgebildeten Rekruten kann eine moderne Armee nichts anfangen. In der Kommission wird daher ein "Auswahlwehrdienst" debattiert: Zehn Monate für nur noch relativ wenige Rekruten, das aber bei anständiger Bezahlung, um wenigstens monetär Wehrgerechtigkeit zu haben. Freilich sehen selbst die Befürworter eines solchen Modells seinen Übergangscharakter. Sie mögen sich von der Wehrpflicht vorerst nicht trennen, weil sie wissen, dass der Staatsbürger danach nie mehr in die Uniform zu zwingen wäre. Sie wollen die Vorteile für die Rekrutierung der Profis möglichst lange bewahren.

Das sind gute, pragmatische Gründe. Aber nicht gut genug als Rechtfertigung für den staatlich verordneten Dienst am Vaterland, der einst mit der Abwehr drohender Gefahr begründet worden ist. Wer die Wehrpflicht - und ihr Nebenprodukt Zivildienst - erhalten will, wird eine neue Legitimation finden müssen; zum Beispiel in einer allgemeinen Dienstpflicht. Nur für sich genommen, hat die Wehrpflicht keine Zukunft.

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