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Politik: Wenn die Chemie stimmt

Das Beispiel Bremen zeigt: Ob eine Koalition funktioniert oder nicht, hängt vor allem von den Personen ab

Wer über die Bildung einer großen Koalition nach dem 18. September spekuliert, schaut gerne mal nach Bremen. Hier regiert ein solches Bündnis schon seit über zehn Jahren. Ein Modell für den Bund? Oder wäre eher eine Ampelkoalition zu empfehlen? Auch die gab es schon an der Weser.

Der Bremer Senat und die Bundesregierung haben eines gemeinsam: Sie stehen vor einem riesigen Schuldenberg und wollen die Wirtschaft ankurbeln. Im kleinsten Bundesland strampeln Henning Scherf (SPD) und seine Koalition schon seit 1995 für dieses Ziel – bisher ohne durchgreifenden Erfolg. Trotz 8,5 Milliarden Euro Sanierungsbeihilfen des Bundes wuchs Bremens Schuldenberg in dieser Zeit von neun auf über zwölf Milliarden Euro. Nur ein Teil der Gelder wurde sinnvoll eingesetzt. Viele Investitionen blieben ohne großen Wirtschaftseffekt oder scheiterten sogar völlig, zum Beispiel das Freizeit- und Einkaufszentrum „Space Park“: „Große Koalition – große Fehler“, lästern die Grünen.

Große Koalition – große Lähmung? Dieses Vorurteil trifft auf das Bremer Bündnis nur teilweise zu. In vielen Fragen können sich SPD und CDU schnell einigen. Seltener ziehen sich Debatten quälend lang hin, etwa im Streit um ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen. Große Koalition – große Durchsetzungskraft? Wenn SPD und CDU zusammen 69 von 83 Parlamentsmandaten besetzen, können sie problemlos auch unpopuläre Sparbeschlüsse fassen. Das hat die Bremer Koalition auch immer wieder getan. Wenn allerdings der Widerstand in der Bevölkerung zu groß wurde, kassierte das Bündnis seine Beschlüsse teilweise wieder ein.

Was im Kleinen wie im Großen ähnlich ablaufen dürfte, sind die Reaktionen der Wirtschaft auf eine Elefantenhochzeit. Die Bremer „Handelskammer“, die auch die Industrie mit vertritt, ließ zu Zeiten der langjährigen SPD-Alleinherrschaft oder der Ampelkoalition kaum ein gutes Haar an der Landesregierung. Seitdem die CDU mit im Rathaus sitzt, verhält sich die Kammer wohlwollend.

Dass die Bremer Koalition schon so lange hält, liegt vor allem auch an den beteiligten Persönlichkeiten. SPD-Bürgermeister Scherf verstand sich 1995 auf Anhieb prächtig mit seinem damaligen Stellvertreter Ulrich Nölle von der CDU, und auch mit dessen Nachfolger Hartmut Perschau war Scherf meist ein Herz und eine Seele. Als Perschau dann 2004 wegen Krankheit aus dem Senat ausschied, verschlechterte sich das Klima spürbar. Manchmal giften sich SPD und CDU gegenseitig an, als gäbe es keinen Koalitionsvertrag. Allerdings raufen sie sich auch immer wieder zusammen.

Das konnte man von der Bremer Ampelkoalition nicht sagen. Sie war 1991 als Experiment gestartet: Würden SPD, Grüne und FDP es schaffen, soziale Verantwortung, Ökologie und Ökonomie unter einen Hut zu bringen? Sie versuchten es dreieinhalb Jahre lang, dann scheiterten sie an Differenzen zwischen Grünen und FDP, insbesondere zwischen Umweltsenator Ralf Fücks und Wirtschaftssenator Claus Jäger. Ihr Streit ging als „Ampel-Gehampel“ in die Geschichte ein und zeigte, dass das Gelingen von Koalitionen stark davon abhängt, ob zwischen den Verantwortlichen die persönliche Chemie stimmt.

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