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Politik: Wenn es Boom macht

Griechenland wird von Schulden erdrückt. Um nicht bankrott zu gehen, erhöht es Steuern. Doch reiche Griechen bleiben davon unberührt. Sie schaffen ihr Geld ins Ausland. Über einen Reeder, den die Krise immer größer macht.

Ein schwarzes Auto fährt rasant zum Hafen von Piräus. Es funkelt teuer im Mittagslicht. Dort, in einem der größten Häfen der Welt, verdient der Fahrer des schwarzen Wagens sein Geld. Wo sich jetzt nur vereinzelt Hafenarbeiter über den flirrenden Asphalt mit den unübersichtlichen Fahrbahnmarkierungen schleppen, wo die Waren des Überseehandels verladen werden. Ein Milliardengeschäft, das trotz der Krise boomt.

Energisch schlägt Antonis Polemis die Tür seines Autos zu und drückt einem seiner Mitarbeiter den Schlüssel in die Hand, seine goldene Armbanduhr blitzt aus dem Ärmelaufschlag seines teuren Leinensakkos. Er überquert eine stark befahrene Straße, die die Kais von seinem Büro trennt und geht mit zielstrebigen Schritten auf den Eingang zu. Polemis drückt die messingfarbene Klinke der gläsernen Tür hinunter, hält inne und lässt die Klinke wieder zurückschnappen. Erst mal eine rauchen.

Antonis Polemis heißt nicht wirklich so. Aber er möchte seinen richtigen Namen nicht veröffentlicht haben. Er ist 52 Jahre alt, ein großgewachsener Mann von stämmiger Statur. Er ist bestimmt nicht schüchtern, und er hat auch nichts verbrochen. Dass er lieber inkognito bleibt, liegt an der Welt, aus der er kommt: Er ist ein reicher Grieche. Und das heißt in der Krise, in der sich Griechenland befindet, auf anderer Menschen Kosten zu leben. Ist es so, Herr Polemis?

Er greift nach seinen Zigaretten, die er in der Brusttasche seines Jacketts verstaut hat, zieht mit sicherem Griff eine heraus, lässt das Zippofeuerzeug mit seinen Initialen schnalzen und atmet tief ein. Er lächelt fast jungenhaft und sagt: „Ich liebe mein Land – aber warum sollte ich mein Geld den Politikern hier in den Rachen schmeißen. Die können damit doch nicht umgehen. Wie wir gesehen haben.“

Antonis Polemis stammt aus einer Reederfamilie. Die Reeder sind das Urbild des reichen Griechen. Weiße Hose, dunkles Jackett mit Goldknöpfen, schöne Frauen im Arm, Aristoteles Onassis, der Tankerkönig, hat es geprägt, das ist auch die Welt von Antonis Polemis. „Seit ich denken kann, besaßen wir mehrere Containerschiffe“, sagt er. Mitte der 80er Jahre – nach Abschluss seines Maschinenbaustudiums, das er in den USA absolvierte – gründete er mit gutem Startkapital der Familie ein eigenes Büro, das Frachter für den Warentransport über alle Weltmeere zur Verfügung stellt.

Er stieg damit in den größten Wirtschaftszweig des Mittelmeerstaates neben der Tourismusbranche ein. Seine Besitztümer verteilen sich über mehrere Länder, Polemis legt sein Geld lieber im Ausland an. Und er ist nicht der Einzige, der so denkt. Aus Angst, die Drachme könne wieder eingeführt werden, bringen viele vermögende Griechen ihr Geld ins Ausland – und machen die Lage im Lande noch prekärer. Besonders beliebt seien momentan Immobilien in europäischen Großstädten wie Berlin – wo er auch eine Wohnung hat – und London. Da ist das Geld sicher angelegt.

Die Athener Tageszeitung „Ta Nea“ schrieb vergangenen Montag, die griechische Zentralbank Bank of Greece wisse, dass allein im vorletzten Jahr 731 griechische Bürger eine Milliarde Euro auf ausländische Konten transferiert hätten. Weil die Krise die Wirtschaft immer stärker beeinträchtigt, schätzen Experten die Dunkelziffer der Kapitalflüchtigen weit höher. Steuerfahnder klagen, viele der Kapitalflüchtigen würden Tricks und Wege kennen, das ins Ausland überwiesene Geld als Zahlungen für den Kauf von Waren zu deklarieren. Nikos Lekkas, Leiter der griechischen Steuerfahndung, sagt, die Steuerflucht in seinem Land belaufe sich auf zwölf bis 15 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. „Wenn wir davon auch nur die Hälfte eintreiben könnten, wäre Griechenlands Problem gelöst“, sagt Lekkas.

Die Reichen im Lande schröpfen den Staat, der sie seit Jahren mit Steuererleichterungen hofiert. Polemis sagt freundlich aber bestimmt, bei Geld höre die Freundschaft bekanntlich auf. Auf die Frage, ob er sich nicht verantwortlich fühle, sein Land und seine Leute in schweren, vielleicht existenziellen Zeiten zu unterstützen, antwortet er knapp. „Durch uns Reeder haben viele Hafenarbeiter ihren Arbeitsplatz.“ Er selbst fühle sich Griechenland als Staat nicht weiter verbunden. „Mit der Politik hier will ich nichts zu tun haben.“

Er tritt den glimmenden Zigarettenstummel auf dem Steinboden vor seinem Büro aus und zieht direkt die nächste Zigarette aus der Schachtel. Wieder schnalzt sein Zippo. In Griechenland besitzt Antonis Polemis zwei Villen, eine hat er gerade erst letztes Jahr gekauft – die Zeiten sind gut für den griechischen Reeder.

Griechenlands Handelsflotte ist laut dem deutschen Reederverband mit mehr als 3000 Schiffen und einer Tragfähigkeit von mehr als 220 Millionen Tonnen die größte der Welt und überholt damit sogar Seemächte wie Deutschland, Japan und China. Selbst im Krisenjahr 2010, als Griechenland den Internationalen Währungsfonds um Unterstützung bitten musste, wuchs die Seeflotte der Griechen um 13 Prozent.

Den positiven Schub der griechischen Schifffahrtsbranche bestätigt Polemis mit zufriedenem Lächeln. Das „Geheimrezept“, sagt Polemis, sei das sogenannte „antizyklische Handeln“. Kaufen in schlechten Zeiten, verkaufen in guten. Und weil die Zeiten gerade besonders schlecht sind, besitzt er gerade fünf Frachtschiffe und überlegt weiter aufzustocken. „So einfach ist das“, sagt er gerade, als ihm ein Mitarbeiter per Handzeichen durch das Fenster deutlich macht, dass er am Telefon verlangt werde. Aber Polemis winkt ab und bleibt auf der makellos weißen Bank vor seinem Büro sitzen. Er ist in Erzähllaune. Es gebe einen weiteren altbewährten Trick, um das Geld beisammenzuhalten, sagt er. Er lächelt leicht schräg und deutet mit einem Nicken nach gegenüber auf die andere Straßenseite, auf einige Schiffe, die im Hafen von Piräus angelegt haben. Alles Schiffe, die nicht in Griechenland gemeldet sind. Sie hätten aber alle, sagt Polemis, griechische Besitzer. Er sagt: „So läuft das.“

Die Erweiterung der Europäischen Union um Malta und Zypern hat es Griechenland erleichtert, zum Giganten in der europäischen Handelsschifffahrt aufzusteigen. Die Griechen kontrollieren den Großteil der Flotten der neuen EU-Mitglieder. „Beziehungen“, sagt der Reeder.

Er selbst lässt drei seiner fünf Frachter unter maltesischer Flagge in See stechen. „Das ist viel günstiger, da Griechenland zum Beispiel ein Gesetz hat, das vorschreibt, griechische Schiffe müssen mit griechischer Besatzung fahren.“

Im Jahre 2010 sollte dieses Gesetz gelockert werden. Da kam es bei den Hafenarbeitern, die um ihren Arbeitsplatz bangten, zu heftigen Streiks, berichtet Polemis. Das Gesetz blieb bestehen. Ihm persönlich konnte es egal sein.

Durch seinen Status als Reeder genießt Polemis genügend Vorteile durch die Politik seines Heimatlandes. Die Eliten wurden durch die Steuergesetze schon immer hofiert, und es ist bisher nicht bekannt geworden, dass die unter dem Druck der Euro-Länder beschlossenen neuen Sparbeschlüsse der Regierung daran etwas ändern. So sind zum Beispiel innerhalb der letzten drei Jahre die Konsumsteuern von 18 Prozent auf 23 Prozent gestiegen, während die Reichen im Lande kaum oder gar nicht belastet werden. Und für Reeder wird lediglich eine Abgeltungssteuer fällig, die sogenannte Tonnagesteuer, die Griechenland als erstes Land überhaupt einführte und die eher symbolisch zu verstehen ist anstatt als finanzielle Last. Je nach Alter des Schiffs handelt es sich dabei insgesamt um nur wenige Cent pro 100 Tonnen Ladung. Das sind fast lächerliche Abgaben angesichts der steuerfreien Einkünfte aus Schifffahrtsgeschäften und aller Gewinne aus Schiffsveräußerungen, die nach einem Versprechen des konservativen einstigen Ministerpräsidenten Kostas Karamanlis im Jahr 1975 auch in Krisenzeiten nicht angetastet werden.

Nach der vierten Zigarette und ohne das Büro betreten zu haben, lässt Polemis sich sein Auto wieder bringen. Er möchte kurz nach seiner „Liebsten“ schauen.

Dafür hat er es nicht weit. Nur ein paar Straßen am Meer entlang zu einem anderen Teil des Hafenbeckens. Polemis steuert sein Auto auf den Parkplatz, knallt wieder die schwere Limousinentür zu und steht schon direkt vor ihr: vor seiner weißen Luxusyacht. Es ist ein modernes Motorboot, möbliert wie ein Wohnzimmer, mit mehreren kleinen Kabinen und am Heck einer riesigen Terrasse. Und sie ist nicht die einzige Luxusyacht ihrer Art hier. Für Polemis sind die schwimmenden Statussymbole vor allem Zeichen dafür, dass die einen mit Geld umgehen können und andere nicht. Dass die anderen, also die Politiker, die Krise nicht in den Griff kriegen. Deshalb sei es auch sinnlos, Geld in deren Krisenbewältigungsprogramm zu stecken. „Die setzten unser Land doch in den Sand. Hat man ja gesehen an den letzten Krisenjahren“, sagt er. Aber er sagt auch, dass die Krise in Griechenland ihn emotional getroffen habe, so viel Elend auf den Straßen, „das hat es früher nicht gegeben“.

Trotzdem, um sein Geld hat er nicht gebangt vor den Wahlen am 17. Juni wie viele, erklärt Polemis. „Da musste ich nichts in Sicherheit bringen. Meine Konten befinden sich sowieso im Ausland, denn die meisten Banken unserer Branche sind in Westeuropa angesiedelt. Meine in der Schweiz und in den USA. Das ist ganz normal bei Reedern, denn die Schiffahrtsbranche ist komplett globalisiert. Die Frachten, die Mannschaft, das alles wird in Dollar und nicht in Euro bezahlt.“

Er zieht sein Portemonnaie aus seiner braunen Aktentasche, klappt es auf und tippt auf seine einzige griechische unter vielen internationalen Bankkarten. „In Griechenland habe ich nur ein einziges Konto, auf das ich mir das Geld, das ich für meine täglichen Ausgaben hier brauche, überweise. Ich habe hier ja nur mein überschaubares Büro und die wenigen Angestellten. Meine eigentliche Firma ist vollkommen mobil und ständig auf den Meeren der Welt unterwegs.“

Polemis will nun endlich doch ins Büro. Energisch zieht er die Tür seines Autos auf, steigt ein und braust zurück, drückt seinem Mitarbeiter erneut wortlos die Schlüssel zum Parken in die Hand. Aber dann ist dort wieder diese Bank und so zündet er sich erst mal eine weitere Zigarette an. Da trifft ihn der wütende Blick eines Hafenarbeiters.

Der Mann mit den dichten schwarzen Haaren und den dunklen Augen rollt ein paar Meter weiter mit schweren Griffen ein Schiffstau zusammen. Seine Klamotten sind ölverschmiert und er schwitzt in der gleißenden Mittagssonne. Er hat die Worte des reichen Reeders auf der Bank mithören können und mischt sich nun ein. „Das ist so ungerecht!“, ruft er wütend. „Ein normaler Arbeiter wie ich, der seine Familie unterhält, muss Steuern zahlen, und ein reicher Mann wie Sie ist davon befreit.“ Wütend schlägt der Mann sich auf die Brust. „Was ist denn das für ein Rechtsstaat?“

Der Mann ist der Hafenarbeiter Manolis. Er arbeitet bereits seit 15 Jahren hier in Piräus. Und natürlich hatte er auch gestreikt, als den Reedern härtere Auflagen drohten. Nun ruhten all seine Hoffnungen bei der letzten Wahl auf der progressiven vereinigten Linken Syriza mit ihrem Bündnis-Chef Alexis Tsipras. Er ist völlig desillusioniert. „Tsipras wollte bei einem Wahlsieg die Abschaffung der verschiedenen Steuerbefreiungen durchsetzen und ein gerechtes beständiges Steuersystem schaffen, so dass alle griechischen Staatsbürger nach ihrem Einkommen und Besitz besteuert werden“, schimpft er. „Jetzt sitzen wieder dieselben Leute da oben, genau die, die das Land zugrunde gerichtet haben und Gesetze nur im Sinne der Reichen erlassen.“

Der Reeder Polemis, der seit Jahren seine Wählerstimme der konservativen Nea Demokratia gibt, blickt den Hafenarbeiter stumm an, drückt seine Zigarette aus und verschwindet in seinem Büro, in eine Welt, für die der Hafenarbeiter Manolis kein Verständnis mehr aufbringen kann. Nach seiner Schicht am Hafen fährt der ins Zentrum Athens und hilft auf dem Bau aus. Seine Frau hat vor ein paar Wochen ihren Job verloren. Das Geld ist knapp, die Wohnungssteuer steigt stetig an. „Bezahlen muss ich die ja irgendwie.“ Manolis lacht freudlos und mit müden Augen. Dann macht er sich auf den Weg.

Theodora Mavropoulos[Athen]

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