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Politik: Wenn Gewissen tyrannisch wird

Von Richard Schröder

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Befehlsverweigerung eines Berufssoldaten aus Gewissensgründen für rechtens erklärt. Die evangelische Bischöfin Margot Käßmann aus Hannover hat die Entscheidung begrüßt. Ich halte sie schlicht für falsch.

Wenn ein Soldat sich weigert, an einer völkerrechtswidrigen Kriegshandlung teilzunehmen, ist er im Recht und darf in einem Rechtsstaat nicht bestraft werden. Er verdient Lob und Anerkennung. Doch das Gericht hat sich mit der Rechtmäßigkeit des Irakkriegs, um den es ging, gar nicht befasst. Es ist bloß davon ausgegangen, dass der Soldat mit Berufung auf sein Gewissen den IrakKrieg für völkerrechtswidrig hielt.

Ob ein Krieg völkerrechtswidrig ist oder nicht, ist keine Gewissensfrage, sondern eine Rechtsfrage. Sie wird mit juristischen Argumenten geklärt, zwar hoffentlich gewissenhaft, aber doch nicht mit der Berufung aufs Gewissen. Auch Rechtsfragen können umstritten sein. Dann entscheiden Gerichte.

Der Soldat stand auch nicht vor der Entscheidung, an einer völkerrechtswidrigen Kriegshandlung teilzunehmen oder nicht. In diese Lage konnte er deshalb überhaupt nicht kommen, weil die Bundesregierung erklärt hatte, deutsche Soldaten werden sich nicht am Irakkrieg beteiligen. Er war mit der Entwicklung von Computerprogrammen befasst und hat die Weiterarbeit verweigert, weil sein Vorgesetzter nicht ausschließen konnte, dass mit diesen Programmen Kriegshandlungen im Irak unterstützt werden könnten. Er hat außerdem kritisiert, dass deutsche Soldaten in Kuweit stationiert wurden und in Deutschland amerikanische Kasernen bewachen.

Gewissensfragen sind dadurch charakterisiert, dass mit ihnen meine Identität auf dem Spiel steht. Ich würde mich selbst verraten, wenn ich dies tun würde. Wie Martin Luther in Worms: „Ich kann nicht anders.“ Unseren Soldaten dagegen hat bedrückt, was andere tun oder tun könnten. Auch das kann eine Gewissensfrage sein, dann nämlich, wenn ich den anderen zu befehlen habe und etwa als Offizier einen völkerrechtswidrigen Befehl erteilen soll. Doch in der Lage war er nicht. Er hatte Programme zu entwickeln, mit denen andere etwas tun könnten, das er nicht gutheißen kann – was aber unwahrscheinlich war aufgrund der erklärten Haltung der Bundesregierung. Sollte ihm sein Gewissen verbieten, überhaupt an Programmen für militärische Zwecke zu arbeiten, dann sollte er ganz schnell den Beruf wechseln. Er kann das Recht auf Kriegsdienstverweigerung in Anspruch nehmen. Er kann aber nicht alles gleichzeitig haben.

Niemand hat das Recht, mit Berufung auf sein Gewissen anderen vorzuschreiben, was sie zu tun oder zu lassen oder zu denken haben. Die haben nämlich auch ein Gewissen. Mit meinem Gewissen bin ich unvertretbar für mich zuständig – nicht aber für alle und alles. Niemand darf sich mit Berufung aufs Gewissen unberufen an die Stelle der Gerichte und ungewählt an die Stelle der Volksvertretung oder Regierung setzen. Sonst wird das Gewissen tyrannisch.

Der Autor ist Professor für Theologie an der Humboldt-Universität zu Berlin.

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