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Politik: Wenn Worte mehr als Taten zählen (Kommentar)

Es lebte einmal ein mutiger Mann. Der hieß Jitzhak Rabin und herrschte über den Staat Israel.

Es lebte einmal ein mutiger Mann. Der hieß Jitzhak Rabin und herrschte über den Staat Israel. Jitzhak Rabin wollte Frieden. Deshalb traf er sich, vor sechs Jahren, mit seinem ärgsten Feind, Jassir Arafat. Beide reichten sich die Hand zur Versöhnung. Große Hoffnungen keimten auf: Bald könnte ein für unlösbar gehaltener Konflikt beendet sein. Dann wurde Rabin ermordet. Das war vor vier Jahren. Seitdem ist es um den Frieden in der Region nicht mehr so gut bestellt. - Das beschreibt, etwas überspitzt, die Wahrnehmung eines durchschnittlichen Europäers von den Ereignissen im Nahen Osten. Das Gefühl dominiert, damals sei mit viel Elan ein außergewöhnlicher Prozess in Gang gesetzt worden, der sich inzwischen im Wüstensand verloren hat. Man weiß zwar, da gab es noch mehr - das Oslo-, das Hebron-, das Wye-, das Scharm-el-Scheich-Abkommen. Aber für die Details, die dort verhandelt wurden, interessieren sich allenfalls Experten. Wird das nach dem Nahost-Gipfel, zu dem US-Präsident Bill Clinton, Israels Ministerpräsident Ehud Barak und Palästinenserpräsident Jassir Arafat am Montag nach Oslo gefahren sind, anders sein?

Die spontane Antwort auf diese Frage fällt kurz aus: Nein. Auch in Oslo wird das Symbolische das Substanzielle überdecken. Das Problem der palästinensischen Staatlichkeit bleibt ungelöst, man wird sich höchstens auf einen Zeitrahmen verständigen, innerhalb dessen konkrete Ergebnisse vorliegen müssen. Die Zeremonie steht im Vordergrund, nicht das Resultat. Allenfalls wird Clinton versuchen, Barak und Arafat in eine Art Umarmungszange zu nehmen, deren Botschaft lautet: Allein Ihr könnt das Ende meiner Amtszeit mit einem Durchbruch krönen. Allein Euch ist es gegeben, dass ich als Friedensstifter in die Geschichtsbücher eingehe. Mehr kann Clinton nicht tun. Er hat bloß noch Zuckerbrot im Gepäck, keine Peitsche. Bis zu den Präsidentschaftswahlen in einem Jahr werden die Vereinigten Staaten keinen Streit mit Israel riskieren.

Muss sich Europa also darauf einstellen, dass im Nahen Osten alles so bleibt, wie es ist? Dass das Durchwursteln, das Gerangel um Prozeduren und Prozente, weiter geht? Nein, im Gegenteil: Nie zuvor waren die Chancen so günstig, den Friedensprozess wieder zu beschleunigen. Denn Israel befindet sich im Aufbruch. Die neue Regierung sowie die Mehrheit der Bevölkerung wollen den Frieden. Und sie sind stark genug, ihn durchzusetzen. Ehud Barak ist einer der mächtigsten Ministerpräsidenten in der Geschichte des Landes. Er ist Regierungschef und Verteidigungsminister. Er verfügt über eine komfortable Mehrheit im Parlament. Und der ehemalige General gilt als Ziehsohn Rabins. Man vertraut ihm. Barak wird nichts tun, heißt es, was die Sicherheit gefährdet.

Hinzu kommt: Die Opposition im Lande ist schwächer als je zuvor in den vergangenen Jahren. Mit Benjamin Netanjahu war vor einem halben Jahr nicht nur ein etwas glücklos agierender Politiker abgesetzt worden, mit seinem Wahl-Debakel zerbrach auch eine Illusion. Netanjahus Anhänger hatten geglaubt, die Uhr könne zurückgedreht, das Prinzip "Land für Frieden" durch geschicktes Taktieren außer Kraft gesetzt werden. Diese Politik endete im Fiasko. Davon profitiert nun Barak. Er kann daran anknüpfen, was Rabin und Shimon Peres begonnen haben. Aber er kann zusätzlich, anders als Rabin und Peres, der Opposition zurufen: Ihr habt Eure Chance gehabt - und das Land ruiniert.

Es lebte einmal ein mutiger Mann. Jitzhak Rabin hieß er. Vor vier Jahren wurde er ermordet. Seiner wird in diesen Tagen gedacht. Aber zum ersten Mal trübt nicht allein Wehmut die Erinnerung. Zum ersten Mal dringt wieder Hoffnung durch die Trauer. Bill Clinton, der Rabin an dessen Grab die letzten beiden Worte sagte - "Shalom, Chaver" (Frieden, mein Freund) - spürt den Wandel, der die Region erfasst hat. Gemeinsam mit Barak und Arafat bezeugt der amerikanische Präsident in Oslo diesen Stimmungsumschwung. Das mag man symbolisch nennen, man sollte es jedoch nicht als reine Symbolik verächtlich machen. Taten zählen mehr als Worte. Das stimmt. Aber mitunter müssen erst Worte gesprochen werden, damit Taten geschehen. Der Nahost-Gipfel in Oslo ist eine Geste. Eine Geste allerdings, die mehr bewirken kann als manches Dokument.

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