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Politik: Wer die Kosten senken will, braucht einen neuen Begriff des medizinisch Nötigen (Gastkommentar)

Bei den Westgoten war das Gesundheitssystem noch einfach und effizient. Gemäß Dekret des unerbittlichen Königs Theoderich I.

Bei den Westgoten war das Gesundheitssystem noch einfach und effizient. Gemäß Dekret des unerbittlichen Königs Theoderich I. mussten Ärzte vor der Behandlung eine satte Kaution stellen. Wenn der Patient starb, fiel der Betrag den Hinterbliebenen zu. Waren diese obendrein adelig, wurde ihnen der glücklose Medicus als Leibeigener überlassen.

Angesichts der seit Jahren zwischen Ärzten, Krankenkassen, Pharmalobby und Politik geführten Debatte um eine Reform des Gesundheitswesens und der selbst für Fachleute kaum noch überschaubaren Zusammenhänge mag so mancher genervte Patient der Westgoten-Nostalgie verfallen: Während die Beiträge für Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und Privatkassen in schwindelerregende Höhen steigen, werden die Warteschlangen in den Arztpraxen und Klinikambulanzen immer länger. Erholungskuren, Massagen und Fangopackungen sind nur noch mit Mühe zu bekommen - und in der Apotheke ist ein gut gefüllter Geldbeutel längst mindestens so wichtig wie das Rezept. Einig ist man sich, dass das deutsche Gesundheitssystem, das jährlich mehr als 500 Milliarden DM verschlingt, sanierungsbedürftig ist - über das richtige Heilmittel wird allerdings heftig gestritten. Ärzte und Krankenhausträger fordern erwartungsgemäß eine Erhöhung der Einnahmen für die GKV. Der Vorschlag, die Beiträge nicht nur vom Einkommen, sondern auch von Vermögen und Aktiengewinnen abhängig zu machen, dürfte jedoch hauptsächlich jene betreffen, die ohnehin jederzeit zu Privaten wechseln können.

Dagegen versucht die Bundesgesundheitsministerin, die explodierenden Kosten zurückzufahren: Das seit Jahresanfang in Kraft getretene GKV-Gesundheitsreformgesetz budgetiert weiterhin die Arzneimittelausgaben für Arztpraxen. Zusätzlich müssen Krankenhäuser künftig nach dem US-Vorbild der "Diagnosis Related Group"-Finanzierung über diagnosebezogene Fallpauschalen abrechnen, statt wie bisher wie Hoteliers pro Übernachtung zu kassieren. Das dürfte zumindest die Praxis eindämmen, Liegezeiten künstlich zu verlängern.

Um das ganze System zu sanieren, ist jedoch eine weitaus drastischere Schlankheitskur unvermeidlich: Die Begrenzung der von der GKV erstatteten Leistungen auf das medizinisch Notwendige und die Freigabe des Wettbewerbes zwischen den Krankenkassen. Im Grundsatz wären sich Bundesregierung und Ärzteschaft hier ausnahmsweise sogar einig. Doch das Vorhaben scheitert bisher an der Frage, was konkret "medizinisch notwendig" ist: Hat ein Arbeitnehmer mit Erschöpfung und Rückenschmerzen Anspruch auf eine Erholungskur? Sollen Methoden ohne nachgewiesene Wirksamkeit wie Akupunktur oder Homöopathie bezahlt werden? Muss die Solidargemeinschaft das Unfallrisiko von Fallschirmspringern oder Military-Reitern mittragen?

Angesichts der Alternative eines unerschwinglichen Gesundheits-Molochs ist die private Zusatzversicherung solcher "Wahlleistungen" unumgänglich. In der Wohlstandsgesellschaft hat sich die Definition von "Gesundheit" gewandelt: Der Arzt soll nicht nur schwere Krankheiten behandeln, sondern es ermöglichen, schlank zu werden, ohne zu hungern, und den Blutdruck zu senken trotz Karrierestress und Kettenrauchen.

Diese Wellness- und Fit-for-fun-Ansprüche von wirklich ernsten Krankheiten zu unterscheiden, würde auch dem von der Gesundheitsreform strapazierten Verhältnis von Arzt und Patient nicht schaden. Wer vermeidbare Behandlungen privat versichern muss, wird sich Ratschläge zur gesunden Lebensführung eher zu Herzen nehmen, statt auf Pillen zu hoffen. Dafür können die Ärzte nicht anerkannte Zusatzleistungen, an denen sie ohnehin am meisten verdienen, in freien Verträgen aushandeln - wenn die Patienten dann noch bereit sind, dafür zu zahlen.

Der Autor ist Direktor des Institutes für Medizinische Mikrobiologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Alexander S. Kekulé

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