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Am 7. April 1977 ermordete das "Kommando Ulrike Meinhof" Generalsbundesanwalt Siegfried Buback.

© dpa

Wer erschoss Buback?: Prozess gegen Verena Becker hat begonnen

Die ehemalige RAF-Terroristin Verena Becker muss sich seit dem 30. September vor dem Oberlandesgericht Stuttgart verantworten. Wird 33 Jahre nach dem Mord an Generalbundesanwalt Siegfried Buback jetzt endgültig geklärt, wer der Todesschütze war?

Am 30. September 2010 begann vor dem Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart der Prozess gegen die frühere RAF-Terroristin Verena Becker. Das OLG hat vorerst 16 Verhandlungstage angesetzt.

Weshalb steht Verena Becker vor Gericht?

Die Bundesanwaltschaft wirft der 58-jährigen Frührentnerin Mittäterschaft beim Attentat auf den damaligen Generalbundesanwalt Siegfried Buback und zwei Begleiter vor. Am 7. April 1977 hatte das „Kommando Ulrike Meinhof“ der RAF Buback ermordet. Vom Rücksitz eines Motorrads aus verletzte ein RAF-Mitglied mit einem Schnellfeuergewehr den Generalbundesanwalt, einen Justizangestellten und den Fahrer tödlich, als Bubacks Dienstwagen in Karlsruhe an einer roten Ampel hielt. Die Ermittler gingen vor drei Tätern aus – dem Fahrer des Motorrads, dem Beifahrer und Schützen sowie dem Fahrer eines Fluchtfahrzeugs, in das die beiden Motorradfahrer kurz nach den tödlichen Schüssen umstiegen.

Wegen des Attentats wurde 1980 das RAF-Mitglieder Knut Folkerts zu lebenslanger Haft verurteilt. Er galt als der Todesschütze. 1985 wurden außerdem die RAF-Mitglieder Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt unter anderem wegen des Buback-Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Klar soll den silberfarbenen Alfa Romeo gefahren haben, in den die beiden Attentäter nach der Tat umgestiegen sind. Mohnhaupt, damals Führungsfigur der RAF, galt als Mitorganisatorin des Anschlags. Das ehemalige RAF-Mitglied Günter Sonnenberg soll die Suzuki 750 GS gefahren haben. Sonnenberg wurde zwar auch zu lebenslanger Haft verurteilt, allerdings wegen versuchten Mordes an einem Polizisten.

Sonnenberg und Becker waren vier Wochen nach den Schüssen von Karlsruhe nach einer Verfolgungsjagd in Singen am Hohentwiel festgenommen worden. Zuvor hatten sie zwei Polizisten schwer verletzt. Die RAF-Mitglieder führten in einem Rucksack das Gewehr mit sich, mit dem Buback und seine Begleiter erschossen worden waren – ein Hinweis darauf, dass Becker an dem Anschlag beteiligt gewesen sein könnte. Aus, wie es heißt, „prozessökonomischen“ Gründen wurden die beiden wegen des Attentats nicht angeklagt. Denn aufgrund der Schießerei in Singen waren Sonnenberg und Becker wegen Mordversuchs bereits zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Sonnenberg, der bei der Festnahme schwer verletzt worden war, ist nach 15 Jahren Haft entlassen worden; er ist seither angeblich nicht verhandlungsfähig. Becker wurde 1989 begnadigt.

Warum wurde das Verfahren gegen Becker wieder aufgenommen?

Am 28. August 2009 erwirkte die Bundesanwaltschaft abermals einen Haftbefehl und Untersuchungshaft gegen Becker. Es gab neue Ermittlungsergebnisse. So sind unter anderem mit einem neuen Verfahren DNA-Spuren von Becker an Briefkuverts festgestellt worden, in denen Bekennerschreiben zum Buback-Mord verschickt worden waren.

Nach Einschätzung der Bundesanwaltschaft hatte Becker nicht selber geschossen. Sie soll aber eine „maßgebliche Rolle“ bei der Organisation des Attentats übernommen haben.

Weshalb hält Bubacks Sohn Verena Becker für die Todesschützin?

Michael Buback, Chemieprofessor aus Göttingen, ist überzeugt, dass Verena Becker in den Prozessen gegen die Attentäter geschützt wurde, weil sie Informantin des Verfassungsschutzes war. Der Sohn des Ermordeten verweist auf 21 Zeugenaussagen, die Hinweise auf eine Frau auf dem Rücksitz gegeben hätten. Ein Zeuge hatte ausgesagt, auf dem Sozius habe eine „schlanke, zierliche Person gesessen“. Ein anderer Zeuge hatte erklärt, er sei sich „zu 99 Prozent sicher, dass auf dem Rücksitz eine Frau war“. Misstrauisch wurde Buback dadurch, dass gerade diese Aussage in den Akten anfangs gefehlt hatte. Der Zeuge hatte sie 1982 im Zusammenhang mit anderen Ermittlungen wiederholt. Erst da wurden sie offiziell registriert. Richtig wütend mache ihn, dass von diesen 21 Zeugen niemand zu den Prozessen geladen wurde, sagt Buback.

Was sagt die Bundesanwaltschaft zu den Hinweisen auf eine Frau?

Offiziell nichts. Inoffiziell zeigt man sich erstaunt darüber, dass Michael Buback nur Zeugen anführe, die seine Vermutung stützen. Nicht alle diese Zeugen seien verlässlich und glaubwürdig, heißt es – und es gebe andere, die zwei Männer auf dem Motorrad gesehen haben wollten. Außerdem weist man darauf hin, dass alle Zeugenaussagen in den Akten zu finden seien. Wenn die Richter also Bubacks Vermutungen folgen, werden sie vor allem Zeugen laden, die eine Frau auf dem Motorrad gesehen haben wollen.

Welche Indizien sprechen noch für Becker als Todesschützin?

Sie war in Begleitung des mutmaßlichen Buback-Attentäters Sonnenberg, der die Suzuki 750 GS angemietet hatte. Da RAF- Terroristen damals oft zu zweit unterwegs waren, weil das unauffälliger erschien, lag der Gedanke nahe, dass sie auch vier Wochen zuvor mit Sonnenberg zusammen gewesen war. Und im Rucksack der beiden steckte die Tatwaffe. Zudem fand die Polizei in dem Rucksack einen Suzuki-Schraubenzieher. Genau so ein Schraubenzieher fehlte im Bordset der Maschine, die beim Anschlag verwendet worden war. Der Besitzer des ausgeliehenen Motorrads teilte später mit, der fehlende Schraubenzieher sei nicht identisch mit dem gefundenen Werkzeug. Bei einer weiteren Vernehmung im November 2009 widersprach er aber teilweise seinen ursprünglichen Angaben. Zudem wurde in einer Tasche, in der der Todesschütze auf dem Motorrad seine Waffe versteckt hatte, ein zweiter Suzuki- Schraubenzieher gefunden. Und der sei, sagt Buback, nicht ausreichend untersucht worden. An den Motorradhelmen wurden auch Haarspuren gefunden. Ursprünglich hieß es in einem BKA-Bericht, eine Haarspur sei Becker zuzuordnen. Später stellte ein Gutachten keine Übereinstimmung fest. Allerdings weist Buback auf – seiner Ansicht nach – Schwachstellen bei der Haaranalyse hin.

Was sagen die Ermittler zu diesen Indizien?

Sie bestätigen, dass es das Phänomen der „Paarbildung“ bei der RAF gegeben habe. Doch könne man in einem Mordverfahren nicht mit der Annahme arbeiten, Becker und Sonnenberg seien zusammen gewesen. Dafür brauche man Beweise. Zu der Haarspur erklären die Ermittler, Buback argumentiere mit einer Reihe von Hinweisen, die er logisch verknüpft habe. In einem Strafprozess gehe es aber nicht nur um Logik, sondern um Beweise und die Glaubwürdigkeit von Aussagen. Nach Lage der Dinge gebe es zu wenig Hinweise, dass Becker bei dem Mordanschlag auf dem Motorrad gesessen habe.

War Verena Becker Informantin des Verfassungsschutzes?

Definitiv ja, auch wenn das offiziell niemand zugeben wird. Anfang der 80er Jahre redete sie mit den Verfassungsschützern, vermutlich weil sie durch die Haftbedingungen zermürbt war.

Was hat sie dabei ausgesagt?

Ihre Aussagen sind auf mehreren hundert Seiten protokolliert worden. Dem Gericht liegen die als geheim eingestuften Akten vor. Buback als Nebenkläger konnte 227 Seiten einsehen. Zu ihrem Inhalt sagt er bloß: „In den Akten steht keine nennenswerte Information über die Durchführung des Attentats.“ Demnach hatte Becker auch niemanden als Schützen benannt – auch nicht das RAF-Mitglied Stefan Wisniewski. Dieser Name taucht aber in einem Brief des Verfassungsschutzpräsidenten Heinz Fromm an die Generalbundesanwaltschaft auf. Der Brief bezieht sich auf den sogenannten Auswertungsbericht des Verfassungsschutzes, in dem die Gespräche mit Becker komprimiert worden sind. In dem Brief heißt es, „dass aufgrund einer älteren unbestätigten Einzelinformation zufolge, Siegfried (sic) Wisniewski als Schütze, Sonnenberg als Fahrer und Klar als Autofahrer beteiligt waren“. Wisniewski, der in Wirklichkeit Stefan heißt, war eines der brutalsten RAF-Mitglieder, galt allerdings nicht als Beteiligter des Buback-Attentats.

Wieso kam Wisniewski ins Spiel?

Das kann man nur vermuten. Peter-Jürgen Boock, Ex-RAF-Mitglied, hatte den Namen im Februar 2007 der Generalstaatsanwaltschaft in Stuttgart genannt. Wisniewski sei der Soziusfahrer gewesen. Daraufhin wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, bis jetzt ohne Ergebnis. Außerdem beschreibt Buback in seinem Buch „Der zweite Tod meines Vaters“, wie er mit Boock telefonierte und versuchte, mehr Informationen zu erlangen. Boock gilt indes als unzuverlässiger Zeuge – oft hat er nachweislich gelogen.

Buback glaubt hingegen, dass der Name Wisniewski vom Verfassungsschutz lanciert wurde, um Becker zu helfen. Sie habe darauf gehofft, dass der Bundespräsident sie für ihre Aussagebereitschaft belohnen und begnadigen würde. Das konnte nur funktionieren, wenn sie etwas Neues mitgeteilt hätte. Weil aber Becker keine nennenswerten Informationen preisgab, mithin auch keinen Grund für eine Begnadigung genannt hatte, musste ein neuer Verdächtiger her – Wisniewski. Wisniewski war 1981 wegen des Mordes an Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer zu lebenslanger Haft verurteilt worden. 1999 wurde er unter Bewährungsauflagen entlassen.

Am Montag berichtete „Spiegel Online“, dass auch Silke Maier-Witt, Ex- RAF-Mitglied, Wisniewski als Todesschützen bezeichnet habe. Sie habe das als Ohrenzeugin erfahren. Maier-Witt dementierte dies umgehend. Es wäre auch seltsam gewesen: Bei der RAF wusste jeder nur so viel, wie er wissen musste. Maier-Witt stand in der Hierarchie der RAF ziemlich weit unten und hätte kaum so brisante Informationen erhalten.

Laut einem Vermerk des Verfassungsschutzes, über den der „Spiegel“ berichtet hatte, soll Becker auch zum Zeitpunkt des Anschlags zusammen mit Brigitte Mohnhaupt in Bagdad gewesen sein. Silke Maier- Witt dementiert dies zumindest in Bezug auf Mohnhaupt: Sie habe die RAF-Führungsfigur am Tag des Anschlags in Amsterdam getroffen.

Gibt es andere Ungereimtheiten im Fall Becker?

Ja. Zum Beispiel wurde unmittelbar nach dem Attentat öffentlich nach einer Frau gesucht. Dieser Hinweis lief sogar in der „Tagesschau“. Nur einen Tag später war von einer Frau nicht mehr die Rede, nach einer „Täterin“ wurde auch im weiteren Verlauf nie mehr gefahndet. Außerdem sind Akten des Verfassungsschutzes mit den Aussagen von Becker bei der Bundesanwaltschaft verschwunden. Buback listet alle Fehler und Lücken der Ermittlungen in seinem Buch akribisch auf. Er legt die These nahe, es habe eine Verschwörung gegen seinen Vater gegeben – zu wessen Gunsten, sagt er nicht.

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