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Politik: Wer in die Luft geht

Das Urteil zum Absturz von Überlingen löst eine Debatte über die Privatisierung der Flugsicherung aus

Von Matthias Meisner

Berlin - In der Debatte über die Privatisierung hoheitlicher Aufgaben lieferte schon 1991 der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker den Vorgeschmack: Damals setzte der Bundespräsident erstmals seit 15 Jahren ein von Bundestag und Bundesrat verabschiedetes Gesetz nicht in Kraft – und verschob so die Privatisierung der Flugsicherung. Erst 1993 konnte nach einer Änderung des Grundgesetzes und des Luftverkehrsgesetzes die Deutsche Flugsicherung GmbH (DFS) gegründet werden, die als bundeseigenes Unternehmen von Langen bei Frankfurt am Main aus die Kontrolle des Flugverkehrs in Deutschland organisiert.

Jetzt wird, angeheizt durch die Entscheidung des Landgerichts Konstanz zum Flugzeugunglück 2002 mit 71 Toten in Überlingen, erneut über die Flugsicherung gestritten. Wiederum stocken die Pläne zur Privatisierung der Flugsicherung – die Bundesregierung will bis Jahresende ihren Anteil von 74,9 Prozent an der DFS verkaufen, erhofft sich einen Erlös von bis zu einer Milliarde Euro. Neuer Eigentümer der Flugsicherung soll ein Konsortium aus Flughäfen, Fluggesellschaften und Banken werden. Wiederum prüft ein Bundespräsident sehr genau – vergangene Woche hat Horst Köhler bestätigen lassen, dass er noch verfassungsrechtliche Probleme sieht. Details zu konkreten Anhaltspunkten für die Bedenken und zum weiteren Verfahren nannte Köhlers Sprecher Martin Kothe nicht. Der Gesetzentwurf war im April vom Bundestag verabschiedet worden. Der Richter im Prozess vor dem Konstanzer Landgericht, Wilhelm Müller, hatte am Donnerstag auf Köhlers verfassungsrechtliche Bedenken ausdrücklich Bezug genommen – er gab damit jenen Oberwasser, die glauben, der Staat könne seine Kernaufgaben nicht einfach an private Unternehmen verkaufen, um Geld in die leeren Kassen des Staates zu schaufeln. Bestätigt sieht sich so etwa die Pilotenvereinigung Cockpit. Die Bundesregierung könne, so ein Sprecher, Zuständigkeiten nicht einfach abschieben.

Andere argumentieren, die Privatisierung der Flugsicherung habe in anderen Ländern auch funktioniert – die Zustände am süddeutschen Himmel, wo die Übertragung der Luftüberwachung an ein Schweizer Unternehmen vom Bund nicht geregelt worden sei, dürften nicht verglichen werden mit der geplanten DFS-Privatisierung. Denn im letzteren Fall behielte der Bund eine Sperrminorität und Sonderrechte. Die Bundesregierung prüft, ob Rechtsmittel gegen das Konstanzer Urteil eingelegt werden.

Offen ist nach Angaben einer Sprecherin des Verkehrsministeriums, ob die Entscheidung Konsequenzen für die geplante Teilprivatisierung der DFS hat. In der Koalition gibt es Zweifel, ob bei der geplanten Privatisierung der Flugsicherung alles richtig gemacht wurde. Die „Financial Times Deutschland“ zitierte den CDU-Bundestagsabgeordneten Siegfried Kauder, der aus dem Konstanzer Urteil die Forderung nach einer Verfassungsänderung ableitet: „Es ist Zeit, dass das Bundesverkehrsministerium endlich aufwacht. Dies Entscheidung ist für das Ministerium ein Schlag ins Gesicht.“

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