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Politik: Wer ist das Volk

Die Massenproteste gegen Hartz IV im Osten spalten – in erster Linie die Politik

Von
  • Matthias Meisner
  • Antje Sirleschtov

Berlin - Parteiübergreifend haben Politiker aus Ost und West am Donnerstag davor gewarnt, im Zusammenhang mit den Demonstrationen gegen Hartz IV einen Ost-West-Konflikt herbeizureden. Sie widersprachen damit unter anderem Unions-Fraktionsvize Friedrich Merz, der „höchst Besorgnis erregende Anzeichen“ für eine solche Zuspitzung sieht. Schärfer noch warnt CSU-Generalsekretär Markus Söder in der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“: „Wenn Chaoten Eier schmeißen, wenn Demonstranten mit DDR-Symbolen das alte Unrechtsregime glorifizieren und Stimmen laut werden, dass früher in der DDR alles besser war, ist das ein katastrophales Zeichen für das Zusammenwachsen von Ost und West.“

Der frühere PDS-Chef Gregor Gysi sieht die Sache gelassener. „Den anderen Parteien wird einfach mulmig“, sagt er dem Tagesspiegel. Die Proteste in ihrer Schärfe hält er für angebracht, vor einer Radikalisierung warnt er aber ausdrücklich: „Eier, Steine, das ist alles indiskutabel.“ Doch hätten die Arbeitsmarktreformen das „Fass zum Überlaufen gebracht“, die „Demütigung der Ostdeutschen“ so richtig deutlich gemacht. Zu Unrecht werde versucht ihnen vorzuhalten, „Ursache für den Absturz der Bundesrepublik“ zu sein. Gysi hat eine eigene Interpretation parat: Die Vertretung der Ostdeutschen im Bundestag sei mangelhaft, nun räche sich das Scheitern der PDS bei der Bundestagswahl 2002.

Auch der brandenburgische SPD-Bundestagsabgeordnete Markus Meckel wirft der Bundesregierung vor, die Signale der Ostdeutschen zu unterschätzen. „Die Frustration von 14 Jahren kippt über“, sagt er. Darauf müsse die Regierung „sehr schnell reagieren“ und politische Versäumnisse der letzten Jahre wettmachen. „Was hier im Osten an Wut und Depression nach oben kommt“, meint Meckel im Gespräch mit dem Tagesspiegel, das sei „die Quittung für eine falsche Ost-Politik, und zwar nicht nur der CDU in den neunziger Jahren sondern auch der SPD“. Schon viel zu lange glaube die Regierung daran, mit neuen Solidarpaktmilliarden die Sorgen der Ostdeutschen überdecken zu können. Der ostdeutsche Protest gegen Hartz IV richte sich insofern weniger gegen die konkreten Reformen am Arbeitsmarkt als gegen das „anhaltende Gefühl, niemand in dieser Regierung kümmert sich ernsthaft um die Zukunft des Ostens“. Meckel warnt die eigene Regierung davor, die wirtschaftlichen und sozialen Probleme in Ostdeutschland allein mit finanziellen Transfers zudecken zu wollen. „Die Leute wollen gar nicht mehr Geld aus dem Westen“, sagt er, „sie wollen viel mehr die Chance, sich mit eigener Kraft aus der Alimentierung befreien zu können“.

Weniger verständnisvoll ist Sachsen-Anhalts Ex-Regierungschef Reinhard Höppner. Wohl erinnert ihn manches heute an die Perspektivlosigkeit von 1989. In der „Frankfurter Rundschau“ betont der SPD-Politiker aber auch: „Mich beunruhigt die Mischung von Leuten, die wirklich engagiert für Gerechtigkeit eintreten, und ziemlich vielen, die nur Unmut und Frust verbreiten wollen, um davon politisch zu profitieren.“

Hermann-Josef Arentz etwa, Vorsitzender der CDU-Sozialausschüsse, will von einer Ost-West-Spaltung nichts wissen. Er kritisiert, dass vom Fordern und Fördern bei Hartz IV fast nur das Fordern übrig geblieben ist. Dies sei „ein gesellschaftlicher Skandal ersten Ranges“, sagt Arentz. „Dass das die Leute auf die Straße treibt, ist völlig verständlich“, sagte er dem Tagesspiegel. „Es wird so lange keinen Frieden an der Hartz-Front geben, solange es keine besseren Fördermöglichkeiten gibt.“ Denjenigen, die Unverständnis über die Demonstrationen äußern, rät der CDU-Sozialpolitiker, die Maßnahmen aus dem Blickwinkel der Betroffenen zu sehen – Leuten nämlich, „die bei allem Arbeitswillen nicht den Hauch einer Chance haben, einen Job zu kriegen“.

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