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US-Wahlkampf: Wer ist die Tea Party?

Gerade noch unbekannt, könnte sie nun die Kongresswahlen entscheiden. Die Tea-Party-Bewegung will Obamas Politik blockieren. Und droht, genau daran am Ende zu scheitern.

WOHER KOMMT DIE BEWEGUNG?

Die Tea Party ist die Aufsteigerin des Jahres. Die Bewegung hat eine ebenso erstaunliche wie überraschende Karriere hingelegt. Anfang Januar war sie den meisten Amerikanern noch unbekannt. Das änderte sich mit der Nachwahl für den Senatssitz des verstorbenen Ted Kennedy am 19. Januar in Massachusetts. Nicht die demokratische Favoritin Martha Coakley gewann in dem zuvor verlässlich progressiv wählenden Ostküstenstaat, sondern der Republikaner Scott Brown. Der Hauptgrund: Nahezu die Hälfte der Obama-Wähler von 2008 war zu Hause geblieben. Die Begeisterung von damals war einer Frustration gewichen, wie schwer sich der Präsident tat, seine Ziele in einer aufgeheizten und nahezu feindlichen Atmosphäre zwischen den beiden Lagern durchzusetzen. Die Republikaner gingen in großer Zahl zur Wahl, mobilisiert von freiwilligen Helfern der Tea Party aus anderen Staaten, die nach Massachusetts kamen, von Tür zu Tür gingen und mit der Aussicht auf einen Überraschungserfolg warben.

WOFÜR STEHT DER NAME?

Mit dem Namen knüpft die Bewegung an die historische Boston Tea Party von 1773 an, ein Meilenstein auf dem Weg zur Unabhängigkeit und ein Symbol für die Auflehnung gegen eine Obrigkeit, die die Bürger schikaniert und zu hohe Steuern fordert. Aus Protest gegen die Zölle auf Tee, die die Briten ihren Kolonien auferlegte, warfen Siedler Teeballen im Hafen von Boston über Bord. So umgibt sich die Tea Party mit dem Flair, in ihr sammelten sich die wahren Patrioten, die Widerstand gegen eine Regierung leisten, die Verrat an den eigentlichen Interessen der Bürger übt.

Für Anhänger hat der Name noch eine weitere Bedeutung. Tea sei auch das Kürzel für „Tax enough already“ – die Bürger würden bereits genug besteuert. Die Behauptung, dass Regierung und Verwaltung überborden, viel zu viel Geld kosten und unzulässig in den Alltag der Bürger eingreifen, gehört zu den zentralen Glaubenssätzen. Zwei Drittel der Tea-Party- Anhänger meinen, Barack Obama habe die Steuern erhöht. Tatsächlich hat er sie gesenkt.

Die Tea Party ist keine eigene Partei. Sie agiert innerhalb des konservativen Lagers. Sie richtet sich gegen Obama und die Demokraten. Im Laufe des Jahres hat sie jedoch gleichermaßen die Führung der Republikaner das Fürchten gelehrt. Im Frühjahr und Sommer ließ sie bei der Kandidatenaufstellung für die Kongresswahl am 2. November vielerorts eigene Bewerber gegen die Amtsinhaber oder die Favoriten der Parteiführung antreten, sofern ihr diese zu moderat und kompromissbereit gegenüber Obama erschienen – und oft siegten dann die Kandidaten der Tea Party. So hat sie insgesamt einen Rechtsruck der Republikanischen Partei bewirkt. Amerikas Medien haben mit ausufernden Berichten über das neue politische Phänomen zum Aufstieg der Tea Party beigetragen. Im April sagten 18 Prozent der Amerikaner, sie unterstützten deren Ziele. Im September waren es bereits 27 Prozent.

WER SIND IHRE ANHÄNGER?

Anfangs kursierten viele falsche Vermutungen, zum Beispiel, dass die Anhänger die Opfer der Wirtschaftskrise seien und dass sich ihre zum Teil kruden politischen Thesen aus Benachteiligung bei Einkommen und Bildung erklären. Eine umfangreiche Erhebung der „New York Times“ und des Senders CBS vom April korrigierte dieses Bild. Die Anhänger der Tea Party sind typischerweise weiß (89 Prozent), männlich (59 Prozent), verheiratet und überdurchschnittlich alt (75 Prozent über 45, 29 Prozent über 65). Sie sind höher gebildet als der Durchschnittsamerikaner und verdienen auch mehr. 37 Prozent haben einen College-Abschluss (US-Schnitt: 25 Prozent). 56 Prozent verdienen mehr als 50 000 Dollar im Jahr (US-Schnitt 45 Prozent). 75 Prozent nennen sich „konservativ“, 39 Prozent „sehr konservativ“. Über Obama sagen 77 Prozent, er sei zu links und teile das Wertesystem der Mehrheit nicht. USA-weit meinen das nicht einmal halb so viele Bürger (34 Prozent).

Republikanische Amtsinhaber genießen jedoch auch kein Vertrauen bei Anhängern der Tea Party. Sie lehnen fast die gesamte politische Klasse ab. USA-weit sagen 18 Prozent, das Parlament leiste gute Arbeit. Unter Tea-Party-Fans meint das nur ein Prozent.

WAS WOLLEN DIE UNTERSTÜTZER?

Sie sind pauschal gegen „zu viel Staat“, gegen die Gesundheitsreform, gegen die Rettungsmilliarden für Banken und Autokonzerne, gegen Obamas Konjunkturpaket und gegen staatliche Auflagen für Klimaschutz. Während moderate Republikaner und Wechselwähler ihre Stimmung überwiegend als „unzufrieden“ beschreiben, sagen Anhänger der Tea Party, sie seien „zornig“. Und: „Unsere Meinung findet in Washington kein Gehör.“ 75 Prozent betonen, ihr politisches Engagement sei neu und durch die angebliche Ausweitung staatlicher Einmischung in die Wirtschaft und das Privatleben unter Obama ausgelöst worden; sie seien nie zuvor bei einer Demonstration gewesen.

Freilich gibt es auffällige Widersprüche zwischen den Anhängern und den Kandidaten der Tea Party für politische Ämter. Prominente Bewerber für Senatssitze wie Sharron Angle in Nevada fordern, Social Security und Medicare abzuschaffen, die Grundrente und Gesundheitsversorgung für Bürger über 65, die beide staatlich finanziert sind. Mehr als die Hälfte der Anhänger urteilt dagegen, diese beiden Programme seien ihr Geld wert – kein Wunder angesichts des hohen Anteils der Altersgruppe, die diese für sie kostenlosen Leistungen aus Steuermitteln bezieht.

Anhänger der Tea Party sind nicht identisch mit der religiösen Rechten, die George W. Bush zu seinen Wahlsiegen verhalf. Es gibt Überschneidungen mit diesen „value voters“, die Abtreibung und Homoehe kategorisch ablehnen. Die Hauptsorgen der Tea Party betreffen aber ökonomische Themen: das ausufernde Budgetdefizit; die Bankenrettung im Kontrast zum Eindruck, dass Bürger, die in der Krise ihr Haus zu verlieren drohen, keine Hilfe bekommen; die Arbeitslosigkeit kombiniert mit illegalen Zuwanderern, die Amerikanern Jobs wegnehmen.

WER FINANZIERT DIE BEWEGUNG?

Die Tea Party stellt sich gern als „Grassroot“-Phänomen dar: eine spontane Graswurzel-Bewegung von unten, ausgelöst durch den Zorn der Bürger. Inzwischen weiß man, dass Großindustrielle wie die Brüder David und Charles Koch sowie Organisationen wie „Americans for Prosperity“ und „FreedomWorks“, die traditionell Spenden für Republikaner sammeln, die Tea Party mit Millionen unterstützen. Kritiker spotten, es handele sich also um „Zuchtrasen“ oder „Kunstrasen“ und nicht um eine Graswurzel-Bewegung.

WIE GROSS IST IHR EINFLUSS?

Die Tea Party ist zum entscheidenden Faktor für die Kongresswahl am 2. November geworden. Ihr dynamischer Aufstieg hat den Glauben konservativer Amerikaner gestärkt, dass sie den Demokraten die Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments nehmen können. Im Frühsommer schien das noch unwahrscheinlich. Damals hieß es, das Abgeordnetenhaus stehe womöglich auf der Kippe, der Senat bleibe fest in demokratischer Hand. Heute gilt der Machtwechsel im Abgeordnetenhaus als sicher und im Senat als möglich – weil die Tea Party Konservative motiviert, zur Wahl zu gehen.

Manches spricht dafür, dass die Tea Party dann ihren Zenit überschritten hat. Sie ist keine kohärente Partei, ihre regionalen Ableger liegen im Streit miteinander. Ihre Anführer werden den absehbaren Triumph bei der Wahl überinterpretieren: als Auftrag, Obamas Politik im Kongress zu blockieren und die Republikaner weiter nach rechts zu drängen. Das wird nach aller Erfahrung moderate Wähler abschrecken und mit Blick auf die Präsidentschafts- und Kongresswahl 2012 wieder den Demokraten zutreiben. Dieser Mechanismus nutzte, zum Beispiel, Bill Clinton. Er verlor die Kongresswahl 1994 in einer ähnlichen konservativen Revolution, wurde aber 1996 wiedergewählt. Bisher gilt: Eine nach rechts driftende Republikanische Partei ist in Amerika nicht dauerhaft mehrheitsfähig.

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