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Politik: „Wer keine Frau anbietet, erhält keine Hilfe“

Genf. In der Kindersexaffäre in westafrikanischen Flüchtlingscamps werden auch Vorwürfe gegen das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sowie die Deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) erhoben.

Genf. In der Kindersexaffäre in westafrikanischen Flüchtlingscamps werden auch Vorwürfe gegen das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sowie die Deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) erhoben. Die n beider Institutionen sind in einem bislang in voller Länge unveröffentlichten UN-Bericht vermerkt, auf einer Liste mit anderen beschuldigten Hilfsorganisationen.

Etwa 70 Mitarbeiter der insgesamt aufgelisteten 42 Einrichtungen würden „mutmaßlich eine ausbeuterische sexuelle Beziehung zu Flüchtlingskindern unterhalten“. Die Beschuldigungen stammen laut UN aus „80 verschiedenen Quellen“. Bei den „Quellen“ handelt es sich vor allem um Flüchtlingskinder. Insgesamt hatten 1500 Mädchen und Jungen im Herbst 2001 in den Lagern gegenüber einem UN-Team ausgesagt.

Zwar müssten die Fälle in Sierra Leone, Guinea und Liberia noch weiter untersucht werden. Aber: „Diese Anschuldigungen dürften nur die Spitze eines Eisbergs sein.“ Verantwortliche der Regierungen und der Camps hätten von den Praktiken gewusst, heißt es in dem Bericht.

Lebensmittel, medizinische Hilfe, Schutz oder Geld hätten die bedürftigen Mädchen und Jungen nur gegen Geschlechtsverkehr erhalten. Selbst fünfjährige Kinder seien Opfer sexueller Übergriffe und Gegenstand pornographischer Aufnahmen geworden, schreibt die UN. Ein männlicher Flüchtling schildert die Situation so: „Wer den Mitarbeitern der Hilfsorganisationen keine Frau, Schwester oder Tochter anzubieten hat, bekommt so gut wie keine Hilfe.“

Die GTZ konnte am Freitag keine offizielle Stellungnahme zu den Vorwürfen geben, wies aber darauf hin, dass „vor zwei Jahren zwei westafrikanische GTZ-Mitarbeiter wegen sexueller Übergriffe entlassen wurden". BMZ-Sprecher Bernd Dunnzlaff erklärte auf Anfrage: „Was das BMZ betrifft, so hat unsere Untersuchung ergeben, dass in der fraglichen Region keine BMZ-Mitarbeiter vor Ort waren oder sind." Derzeit führt eine sechsköpfige Kommission der internen UN-Aufsichtsbehörde OIOS eine Untersuchung in den Flüchtlingscamps durch. Wann die Inspektoren ihren Schlussbericht vorlegen, steht noch nicht fest. Dann dürften auch die Vorwürfe gegen das BMZ und die GTZ geklärt sein.

Westliche Diplomaten kritisieren indes das langsame Vorgehen der Aufsichtsbehörde. Damit würden die Täter Zeit gewinnen, um ihre Verbrechen zu vertuschen. Zudem stehen die Opfer sexueller Übergriffe unter enormem sozialen und ökonomischen Druck. „Wenn die Kinder die Namen ihrer Peiniger nennen, verliert oft die ganze Familie ihr Einkommen“, erklärt die Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, Delphine Marie. Auch die soziale Stigmatisierung schrecke die Heranwachsenden vor zu detaillierten Aussagen ab, sagt die UNHCR-Sprecherin.

Nach den vorliegenden Informationen wurden bisher nur wenige Täter entlassen: So trennte sich die Organisation Save the Children (Großbritannien) von einem Mitarbeiter. Das UNHCR hat noch keine personellen Konsequenzen gezogen. Vielmehr lässt das Flüchtlingswerk seine Mitarbeiter zwischen den einzelnen Camps rotieren. Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass den Tätern neue Opfer zugeführt werden. Auch brauchen sich die Beschuldigten kaum vor der Justiz in Liberia, Sierra Leone und Guinea zu fürchten: „Eine Verfolgung der Täter ist unwahrscheinlich, weil in den drei Ländern von einem funktionierenden Rechtssystem nicht die Rede sein kann“, schreiben die Autoren des vertraulichen UN-Berichts. Zudem seien auch örtliche Polizisten in Fälle von sexueller Ausbeutung verwickelt.

Die Affäre trifft die UN ausgerechnet während des mit großen Hoffnungen ausgetragenen Weltkindergipfels in New York. Uno-Flüchtlingskommissar Ruud Lubbers bestätigte am Freitag: „Ich verlange eine Null-Toleranz-Politik gegenüber sexueller Ausbeutung, Missbrauch und Gewalt.“

Jan Dirk Herbermann

John Zarocostas

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