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Politik: Wer plaudert, fliegt

Die Konsensrunde zur Gesundheitsreform hat begonnen – alle Seiten beteuern, ein Ergebnis zu wollen

Von
  • Robert Birnbaum
  • Hans Monath

Von Robert Birnbaum

und Hans Monath

Es gab Zeiten, da hat Horst Seehofer öffentlich über Ulla Schmidt gemutmaßt, die Frau Gesundheitsministerin habe nicht alle Tassen im Schrank. Am Freitag ist für Schmidt der Tag der ironischen Revanche gekommen. Der CSU-Mann feiert nämlich – ausgerechnet am ersten Tag der Gesundheits-Konsensgespräche – seinen 54. Geburtstag. Und so hat die Ministerin ihrem Gegenpart von der Union kurzerhand ein Geschenk gemacht, das das böse Wort in eine völlig harmlose Tatsachenfeststellung verwandelte: Seehofer besitzt nun zwei Espressotassen, die ab jetzt in Schmidts Schrank fehlen. Sie habe genug davon beisammen, so dass sie zwei abgeben könne, stichelte ihr Sprecher.

Die kleine Aufmerksamkeit zu Beginn unterstreicht weit mehr als die gegenseitigen Beteuerungen guten Willens, dass es den Beteiligten ernst ist mit einem „Lahnstein zwei“ – jener ersten Gesundheitsreform, die der damalige Minister Seehofer 1992 mit seinem damaligen SPD-Gegenpart Rudolf Dreßler ausgehandelt hatte. Wie dringlich eine neue Anstrengung ist, verdeutlicht eine Bilanzmeldung der Techniker-Krankenkasse vom gleichen Tag. Die TK, mit 5,4 Millionen Versicherten inzwischen eine der größten Ersatzkassen, hat das Geschäftsjahr 2002 mit einem Defizit von 117 Millionen Euro abgeschlossen. Für die Kasse noch kein Problem, die Lücke werde aus Reserven gedeckt. Aber ihre Bilanz benennt deutlich eins der Probleme, mit denen sich die Gesundheitsklausur beschäftigen muss: Gut 72 Millionen Euro höhere Ausgaben für Arzneimittel haben bei der TK zu Buche geschlagen.

Der Wille zu einem Kompromiss, der, so Schmidt, „etwas länger als nur ein oder zwei Jahre“ halten soll, ist da. Darum ist auch die FDP beteiligt – auch wenn es um die Frage, ob mit einem oder zwei Unterhändlern, erst noch Gezerre gab und der Liberale Bernd Pfarr eine Zeit lang draußen warten musste. Aber jetzt sitzt er mit in der Runde in der Landesvertretung von Baden-Württemberg. Eine Klausur soll es im Wortsinn bleiben: „Wer plaudert, fliegt“, lautet die Parole.

Dass in Wahrheit einer der härtesten Brocken schon abgeräumt sei, weisen die Verhandlungsführer zurück. Die „Bild“-Zeitung hatte gemeldet, beide Seiten seien sich jetzt schon einig, dass künftig Zahnersatz – nicht die Zahnbehandlung – aus der von Arbeitgebern und Arbeitnehmern paritätisch finanzierten Krankenversicherung ausgegliedert und künftig von den Patienten allein und gesondert versichert werden solle. Das ist aber genau der Punkt, an dem Seehofer mit seiner eigenen Fraktion über Kreuz liegt: Während die Union mit ausdrücklichem Einverständnis des CSU-Chefs Edmund Stoiber fordert, dass der Zahnersatz künftig privat und auch bei den Privatkassen versichert werden müsse, hatte Seehofer den privaten Kassen das Misstrauen ausgesprochen und ihre Beitragsrechnungen als Bauernfängerei abgetan.

Nein, versichert Seehofer nun, es gebe vor dem mutmaßlichen Abschluss der Gespräche Ende nächster Woche keine Entscheidungen – eine Formulierung allerdings, die gewisse Vorverständigungen nicht ausschließt. Dass Seehofer aus der Konsensrunde mit dem Ergebnis in die Unionsfraktion kommt, er habe leider deren Zahnersatz-Forderung nicht durchsetzen können, gilt nämlich als schwer vorstellbar. Einen Ausweg hat der CSU-Mann selbst angedeutet: Die Beitragssumme wird gesetzlich festgeschrieben, um den Kassen eine Erhöhung schwer zu machen. Ein solches Ergebnis wäre ein schönes Geschenk für Seehofer. Schöner noch als das „Verhandlungsüberlebenspaket“ der Grünen: ein Rot-Kreuz-Koffer mit „bitteren Pillen“, Kräuterbitter sowie „Antifaltenmaske zur Nachbehandlung“. Aber das schönste Geschenk haben ihm die Meinungsforscher gemacht: Im Deutschlandtrend ist er in der Beliebtheitsskala raketenartig auf Platz 2 geschossen – vor Edmund Stoiber und Angela Merkel.

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