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Der auffälligste Täter im Fall „NSU 2.0“ ist offenbar technisch versiert. Der Unbekannte verschickt serienweise Drohungen und nutzt unterschiedliche Namen.

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Technisch versiert, rechtsextrem und voller Hass: Wer steckt hinter „NSU 2.0“?

Bisher führten alle Spuren zu den Verfassern der rechtsextremen Drohmails ins Leere. Nun deuten sich weitere Verbindungen zu offiziellen Stellen an.

Von Frank Jansen

Josef Schuster ist es gewohnt, bedroht, beschimpft, beleidigt zu werden. Doch was der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland von einem oder mehreren Nazis namens „NSU 2.0“ bekommen hat, ist an Widerwärtigkeit kaum zu übertreffen.

Die erste Mail ging am 11. Januar 2019 ein und wurde auch an Aiman Mazyek gesandt, den Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime in Deutschland. In der Betreffzeile steht, „Aufruf zur Vernichtung von Josef Schuster und Aiman Mazyek“, es folgen Mordfantasien.

Die zweite Mail kam beim Zentralrat der Juden am 21. Juli 2020 an. Wieder Mordparolen, aber kürzer und mit anderem Namen im Absenderfeld. „NSU 2.0“ ist für abgedrehte Rechtsextremisten das Logo für virtuellen Horror geworden.

Die perfide Inszenierung funktioniert. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht über eine Drohung von „NSU 2.0“ berichtet wird. Inzwischen sollen fast 70 Menschen Drohmails erhalten haben, sagen Sicherheitskreise. Die Zahl der Betroffenen sei noch größer, manche Drohungen wurden an mehrere Personen versandt. Und es fällt auf, dass viele Frauen attackiert und obszön beleidigt werden. Das Thema „NSU 2.0“ wird größer und größer, vermutlich zur Genugtuung der Hassmailschreiber.

Werden Prominente mit einer Neuauflage des Terrors der Mörderbande NSU bedroht, ist die Aufmerksamkeit automatisch groß. Erst recht, da die Polizei bislang erfolglos gegen „NSU 2.0“ ermittelt und womöglich ein oder mehrere Täter selbst Uniformträger sind. So wird „NSU 2.0“ zur Chiffre für einen sicherheitspolitischen Skandal.

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Höhepunkt war bislang die Mitte Juli erfolgte Versetzung von Hessens Polizeipräsident Udo Münch in den einstweiligen Ruhestand. Innenminister Peter Beuth (CDU) hatte erst nach vier Monaten erfahren, dass aus einem Polizeicomputer in Wiesbaden sensible Daten zu der von „NSU 2.0“ bedrohten Chefin der Linksfraktion im hessischen Landtag, Janine Wissler, abgefragt wurden. So war es auch bei der Berliner Kabarettistin Idil Baydar. Sie bekam Hassmails von „NSU 2.0“. In einem Polizeirechner in Wiesbaden wurde unbefugt zu Baydar recherchiert. Und das ist nicht alles.

Die Serie der Drohungen mit dem Logo „NSU 2.0“ begann im August 2018 mit gefaxten Hassparolen gegen die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz und ihre Familie. Der oder die Absender verfügten über private Daten.

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Bei den Ermittlungen fand die Frankfurter Polizei heraus, dass eine Kollegin ohne dienstlichen Anlass in einem Computer das Melderegister nach Angaben zu Basay-Yildiz durchsucht hatte. Über die Beamtin stießen die Ermittler auf die Chatgruppe „Itiot“, in der Frankfurter Polizisten rassistische Parolen und Hitlerbilder posteten. Im Juni 2019 wurde einer der Beamten festgenommen, doch die Indizien reichten nicht für einen Haftbefehl.

Ein ähnlicher Flopp könnte der Fall des Ex-Polizisten Hermann S. sein, den Beamte des bayerischen und des hessischen Landeskriminalamts in Landshut vor gut einer Woche festgenommen haben. Auch seine Ehefrau wurde von der Polizei mitgenommen, doch das Paar kam wieder frei.

Schwer gestörter Nazi-Nerd

Womöglich hat ein „NSU 2.0“-Fanatiker Hermann S. instrumentalisiert. Der Täter hatte im Juli Drohmails mit der Unterschrift „NSU 2.0“ verschickt und im Absenderfeld „Eugen Prinz“ angegeben. Eine seiner Hassbotschaften war die, mit der Josef Schuster am 21. Juli belästigt wurde. Hermann S. schreibt unter dem Pseudonym „Eugen Prinz“ Texte für das rassistische Internetportal „PI-News“.

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In den Artikeln schwadroniert er über „links-grüne Staatszersetzer“, doch Sicherheitskreise bezweifeln eine Verbindung zu „NSU 2.0“. Bei der Festnahme von Hermann S. und seiner Frau nahm die Polizei den Computer der beiden mit. Dennoch kamen weitere Drohmails.

S. sei in der Causa „NSU 2.0“ vermutlich nicht „Eugen Prinz“, sagen Sicherheitskreise. Denkbar sei ein Trittbrettfahrer, der die Aufregung über die Drohmailserie nutze, um Angst zu verbreiten.

Der auffälligste Täter im Fall „NSU 2.0“ ist offenbar ein technisch versierter, aber auch schwer gestörter Nazi-Nerd, der im Darknet agiert. Der Unbekannte verschickt serienweise Drohungen und nennt sich auch „Wehrmacht“, „Elysium“ und „Die Musiker des Staatsstreichorchesters“.

„NSU 2.0“ gab sich als Wehrmacht und Elysium aus

In der Mail, die Josef Schuster im Januar 2019 erhielt, gab sich „NSU 2.0“ zusätzlich als Wehrmacht und Elysium aus. Sicherheitskreise sagen, da jongliere jemand mit mehreren Namen. Eine Gruppe sei auch nicht auszuschließen, aber weniger wahrscheinlich.

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In den vielen Mails werden unter anderem SS-Runen mit kinderpornografischen Bildern kombiniert. Außerdem verlangt der Täter große Summen in der Kryptowährung Bitcoin. Die Sicherheitsbehörden halten den Täter für einen Komplizen von André M., der sich seit April vor dem Berliner Landgericht verantworten muss.

Der 32-Jährige hatte mutmaßlich als „NationalSozialistischeOffensive“ bundesweit Bombendrohungen verschickt. Als der Prozess gegen M. begann, drohte „NSU 2.0“ dem Vorsitzenden Richter per Fax mit „zahlreichen Sprengsätzen“ im Gebäude.

Die Polizei fand nichts. Doch sie wunderte sich über den Begriff „HVT“ im Fax. Das Kürzel steht in Justiz und Sicherheitsbehörden für „Hauptverhandlung“. Also doch ein Polizist? Ein Justizangestellter?

Die „Zeit“ erhielt auf Fragen, die sie an „NSU 2.0“ mailte, die Antwort, „wir sind ein Zusammenschluss heimattreuer Elitekämpfer“. Eine Verbindung zu den rechtsextremen Vorfällen bei der Eliteeinheit der Bundeswehr, dem Kommando Spezialkräfte (KSK), wäre für die Sicherheitsbehörden ein Albtraum.

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