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Politik: Wer vertraut dem Kanzler?

DIE SCHLAPPEN DER SPD

Von Gerd Appenzeller

Ein langer Wahltag ging gestern zu Ende – mehr als vier Monate hat er gedauert. Erst gestern, am 2. Februar des Jahres 2003, wurde der 22. September 2002 in den politischen Kalendern endgültig geschlossen. Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Niedersachsen und Hessen sind nicht zu verstehen ohne den Abend der Bundestagswahl, ohne die Wochen danach; sind nicht zu verstehen ohne die Enttäuschungen und Hoffnungen, das Regierungschaos nach den späten Stunden des 22. September.

Was an Schröder und der SPD war letztlich der Auslöser für die gestrige katastrophale DoppelSchlappe? Ist die Niederlage die Strafe für jene Reformer in der Partei, die unfinanzierbare Besitzstände nicht länger garantieren wollten? Ist es eine Ohrfeige für alle führenden Sozialdemokraten, die die Bürger aus der Ruhe aufgeschreckt haben – oder doch eher ein Tritt gegens Schienbein der Blockierer? Ist der Aufstand an der Wahlurne – und das war es – ein Signal für den Wandel oder ein Signal fürs Beharren? Oder nervt die Menschen ganz einfach die Unentschlossenheit und Wankelmütigkeit der Regierung?

Die Antworten sind wichtig. Aber sie dürfen nicht über die künftige Politik entscheiden. Ob der Wähler das nun gut findet oder nicht: Die Koalition muss den Reformstau auflösen, endlich in der Zeit bis zu den nächsten Wahlen im Herbst 2003 und 2004 eine in sich konsistente Politik der Reformen mutig vorantreiben. Tut sie es nicht aus eigener Bestimmung, wird die EU-Kommission sie zwingen, zum Vorteil der nachwachsenden Generation, die die Schulden von heute tragen muss. Die Jungen haben gestern schon massenweise die Konsequenz gezogen und CDU gewählt. Was können sie der SPD schon zutrauen?

Ist das Debakel von Hannover und Wiesbaden also eine doppelte Niederlage von Gerhard Schröder? Benennen wir es zurückhaltend: nicht nur. Ministerpräsident Roland Koch wurde in Meinungsumfragen von seinen Hessen auf vielen Gebieten deutlich besser bewertet als Sigmar Gabriel von seinen Niedersachsen. Koch hat sich zudem, schon vor vier Jahren, erfolgreich gegen Schröder profiliert. Gabriel hingegen befreite sich nicht aus dem zweifachen Schatten des überlebensgroßen Parteivorsitzenden und Vorvorgängers. Weil Christian Wulff in Hannover als erster durchs Ziel geht, macht das den Erfolg von Roland Koch in Hessen jedoch kleiner. Denn ein Sieg Wulffs, des vorher zweimal Unterlegenen, ist auch Indiz dafür, dass die Grundstimmung für die Union günstiger ist als für die SPD und für den Kanzler. Offen gesagt: Jede Partei, die die Bundesregierung stellt, hätte in einer vergleichbaren Situation im Land Prügel bezogen.

Natürlich war das eine Anti-Schröder-Wahl. Man soll den Demoskopen nicht alles glauben, aber als Trendscouts sind sie unschlagbar. Kurz vor der Abwahl Helmut Kohls im September 1998 waren, so ermittelten sie damals, immer noch 27 Prozent der Deutschen im großen und ganzen mit dessen Politik einverstanden. Gerhard Schröders Zustimmungsquote lag im Januar dieses Jahres bei miserablen 21 Prozent.

Ob der Kanzler nun hinschmeißt, ob die Koalition in Berlin bricht, ob in der SPD der Gewerkschafts- oder der Reformflügel obsiegen wird, ist für den Moment Kaffeesatzleserei. Von einer Großen Koalition, unter der Führung eines Kanzlers Wolfgang Clement, profitierte letztlich nur die SPD. Dem kleineren Partner in einem solchen Bündnis gelingt es selten, sein eigenes Profil zu wahren. Reformen der jetzigen Koalition wohlwollend unterstützen könnten CDU und CSU auch über den Bundesrat. Sie müssen sich nicht in Berlin die Finger an der Macht verbrennen.

Nicht nur Sigmar Gabriel hat eine Zukunftsoption verloren, mindestens vorerst. Auch Johannes Rau darf nicht mehr, sollte er es erwogen haben, mit einer zweiten Amtszeit rechnen. Die Mehrheit in der Bundesversammlung steht nun gegen ihn. Und vielleicht für Angela Merkel als erste Präsidentin. Dann wäre der Lauf zur Kanzlerschaftskandidatur für Roland Koch frei. Nominiert die Union hingegen Wolfgang Schäuble fürs Bellevue, bliebe Merkel die andere Option erhalten. Das sind Fragen von morgen.

Heute ist die Bundestagswahl vorbei. Die Wähler haben dem Kanzler die Vertrauensfrage gestellt. Seine Antwort fehlt.

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