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Politik: „Wer zu früh geht, riskiert, dass alles zusammenbricht“

Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan

Frau Ministerin, sind wir dabei, den Kampf um Afghanistan zu verlieren?

Nein. Aber ich warne vor der falschen Erwartung, dass diese Aufgabe kurzfristig zu erledigen wäre. Die internationale Gemeinschaft hat Mitverantwortung für den Aufbau einer neuen Staatsstruktur übernommen. Wer sich zu früh zurückzieht, der riskiert, dass alles wieder zusammenbricht und das Land wieder zu einem Rückzugsgebiet des internationalen Terrorismus wird.

Am heutigen Donnerstag soll der Bundestag das Mandat für den Bundeswehreinsatz verlängern. Lohnt das Risiko?

Ja, wir müssen uns immer wieder vor Augen führen, welche großen Fortschritte es gibt. Sieben Millionen Kinder gehen wieder in die Schule. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit hat 230 Schulen wiederaufgebaut. Wir haben auch dazu beigetragen, die Versorgung mit Trinkwasser wieder zu sichern. Wir helfen zusammen mit einem Weltbankfonds, staatliche Strukturen und Beschäftigung aufzubauen. Das ist die positive Seite. Aber: Keine Zweifel, es gibt zunehmende Schwierigkeiten, es gibt zunehmende Gewalt. Doch eine breite Unterstützung der Afghanen für die Taliban sehe ich auch im unruhigen Süden des Landes nicht, eher Enttäuschung, dass der Wiederaufbau die Menschen dort nicht erreicht.

Aber die Taliban gehen Bündnisse mit Drogenbauern und -händlern ein. Wie ist dieser Teufelskreis zu durchbrechen?

Die Bekämpfung des Drogenanbaus bleibt eine dauernde und nachhaltige Aufgabe. Wir wissen aus anderen Beispielen, etwa aus Thailand, dass die Umstellung einer Drogenwirtschaft auf andere Produkte ein langfristiger Prozess ist.

Wie können Entwicklungsexperten ihrer Arbeit nachgehen, wenn deutsche Soldaten ihre Lager wegen der Gefahr nur noch in gepanzerten Fahrzeugen verlassen dürfen?

Entwicklungshelfer sind darauf angewiesen, mit der Bevölkerung zusammenzuarbeiten. Wenn es diesen engen und direkten Kontakt nicht gäbe, wäre unsere Arbeit sinnlos. Wir sind auch darauf angewiesen, dass die Bevölkerung uns Hinweise zur Sicherheit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt. Bisher funktioniert das.

Wie groß ist die Gesamtleistung deutscher Entwicklungszusammenarbeit?

Afghanistan ist das Land, in dem wir von allen Partnerländern die höchste Summe für Entwicklungszusammenarbeit einsetzen – nämlich 80 Millionen Euro jährlich. Wir haben der afghanischen Regierung zugesagt, dass dies auch in den kommenden Jahren so bleibt. Im Gegenzug machen wir der afghanischen Regierung auch deutlich, was wir erwarten: Frauen müssen in dieser Regierung vertreten sein. Kräften, die Frauen einschüchtern und ihren Einfluss beschneiden wollen, muss entschlossen entgegengetreten werden. Vor allem müssen Verbrechen gegen Frauen verfolgt und schwer bestraft werden. Drogenhandel und Korruption dürfen nicht toleriert werden.

Aber verschlechtert sich nicht gerade die Lage der Frauen?

Man muss noch einmal die Ausgangssituation nehmen: Die Taliban hatten die Frauen und Mädchen vollständig entrechtet, sie durften nicht in die Schule gehen, hatten auch keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung. Die rechtliche Situation und teilweise auch die gesellschaftliche Praxis haben sich demgegenüber verbessert. Weitere Fortschritte müssen erkämpft werden.

Es gibt Kritik am Vorgehen der US-geführten Enduring-Freedom-Truppen im Süden des Landes. Wie ist Ihre Haltung dazu?

Die Aufgaben der Stabilisierung durch Isaf – das ist der politische Auftrag – und der Terrorbekämpfung durch Enduring Freedom andererseits dürfen keinesfalls vermischt werden, sondern müssen getrennt bleiben. Der Wiederaufbau Afghanistans ist eine politische Aufgabe, keine primär militärische. Wir müssen auch im Süden von Afghanistan darauf achten, dass die Menschen den Wiederaufbau spüren und auch sie Zukunftsperspektiven gewinnen.

Das Gespräch führte Hans Monath.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (63) ist das dienstälteste Kabinettsmitglied. Sie ist seit 1998 Entwicklungsministerin. Die gebürtige Hessin gehört dem linken Flügel der SPD an.

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