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Politik: „Werkzeuge der deutschen Außenpolitik“

Die türkische Staatsanwaltschaft wirft den Mitarbeitern parteinaher Stiftungen Spionage vor

Die Vorwürfe sind so absurd, dass die Angelegenheit ein Witz wäre, ginge es nicht um 15 Jahre Gefängnis: Die Staatsanwaltschaft in der türkischen Hauptstadt Ankara wirft den Repräsentanten der deutschen politischen Stiftungen in der Türkei vor, einen gegen den türkischen Staat gerichteten „Geheimbund“ gegründet zu haben. Und zwar im Auftrag und als „Werkzeuge der deutschen Außenpolitik“. Acht bis 15 Jahre Haft lautet der Strafantrag der Anklagebehörde für die angeblichen Spione von Konrad- Adenauer-, Friedrich-Ebert-, Heinrich-Böll-, Friedrich-Naumann-Stiftung und dem deutschen Orient-Institut in Istanbul.

Beobachter in der Türkei vermuten hinter den Ermittlungen eine gezielte Aktion von Europa-Gegnern. Die 72-seitige Anklageschrift der Staatsanwaltschaft wurde an dem Tag veröffentlicht, an dem die Regierung in Berlin ihre Unterstützung für die türkische EU-Bewerbung bekräftigte. Türkischen Nationalisten sind die Stiftungen schon lange ein Dorn im Auge, denn dort kommen sensible Themen zur Sprache. Die Staatsanwaltschaft glaubt offenbar, dass die Stiftungen separatistische Bestrebungen in der Türkei unterstützen. Außerdem wird den Deutschen vorgeworfen, sie hätten Dorfbewohner zum Widerstand gegen den Abbau von Goldvorkommen aufgestachelt. Die Vorwürfe sind hochpolitischer Natur: Als Drahtzieher für das Handeln der Stiftungen nennt der Strafantrag „die deutsche Außenpolitik“. Ziel ihrer Aktivitäten sei es, „den (türkischen) Nationalstaat zu schwächen“.

„Ein Justiz-Skandal“, reagiert Wulf Schönbohm, der als Türkei-Chef der Adenauer-Stiftung einer der Beschuldigten ist, auf den Strafantrag. „In der Fähigkeit, uns selbst in den Fuß zu schießen, sind wir unübertroffen“, kommentierte die türkische, pro-europäische Zeitung „Radikal“.

Anti-europäische Kräfte sind im türkischen Staatsapparat weit verbreitet, vor allem in Justiz und Verwaltung. Manche Europa-Gegner befürchten eine Zersetzung des Nationalstaates. Anderen geht es um Macht: Wenn die Türkei EU-Mitglied werden will, müssen staatliche Strukturen völlig umgebaut werden; viele derzeit einflussreiche Leute würden dann Posten verlieren oder einer strengeren Kontrolle unterworfen.

Ein delikates Detail am Rande kompliziert die Affäre zusätzlich. Der gegen die Stiftungen ermittelnde Staatsanwalt, Nuh Mete Yüksel, wurde erst vor wenigen Tagen seines Postens enthoben, nachdem eine Video-Kassette aufgetaucht war, die ihn bei außerehelichen Liebesspielen zeigt.

Längst beschäftigen die Repressalien gegenüber den Stiftungen auch die Politik: Bundeskanzler Gerhard Schröder sprach sie beim Brüsseler EU-Gipfel an. Außenminister Joschka Fischer brachte das deutsche Befremden darüber am Mittwoch beim Besuch seines türkischen Amtskollegen Sükrü Sina Gürel in Berlin zum Ausdruck. „Wir bleiben dabei, dass die Klagen haltlos sind“, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes am Freitag. Mit Hinweis darauf, dass die Klageschriften noch nicht zugestellt seien, blieb die offizielle Stellungnahme sehr zurückhaltend. Offensichtlich bemüht sich die deutsche Diplomatie, das Thema in der Öffentlichkeit niedrig zu hängen, um den Anti-Europäern in Istanbul nicht noch Auftrieb zu geben.

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