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Gruppenbild mit Dame. Kanzlerin Merkel bei der Westbalkan-Konferenz in Wien.

© AFP

Westbalkan-Konferenz: Außerhalb des Zauns

Das Flüchtlingsdrama bestimmt die Westbalkankonferenz. Serbien, Bosnien & Co. fordern Beitrittsperspektiven in die EU statt Zäune an deren Grenzen.

Eine dramatischere Aktualität als mit der Tragödie der in einem ungarischen Lastwagen erstickten mehreren Dutzend Syrien-Flüchtlingen hätte die zweite Westbalkankonferenz in Wien kaum bekommen können. Sie lenkte noch mehr als ohnehin erwartet die Aufmerksamkeit der 50 Kilometer weiter in der Hofburg tagenden Regierungschefs der Jugoslawien- Nachfolgestaaten, des Gastgebers Österreich, Italiens und Deutschlands auf die Bewältigung des Flüchtlingsstroms über die sogenannte Balkanroute. Die Zahl der Flüchtlinge auf dieser Route ist nach Angaben von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 600 Prozent gestiegen.
Wenn EU-Vertreter mit Politikern der Balkanstaaten reden, schwebt aber auch das Thema des möglichen Beitritts dieser Staaten zur EU immer im Raum. Erweiterungskommissar Johannes Hahn hat Serbien den raschen Beginn von Verhandlungen über eine Aufnahme in die EU zugesagt. „Ich hoffe, dass wir sehr bald mit Serbien ganz offiziell Beitrittsverhandlungen starten können“, hatte Hahn noch vor Beginn der Konferenz gesagt. Serbien hat bisher einen EU-Assoziierungsstatus und wartet seit Längerem auf die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen. „Es ist wirklich höchste Zeit, dass wir Beitrittsverhandlungen eröffnen“, sagte der serbische Außenminister Ivica Dacic. Es sei der Regierung in Belgrad unklar, weshalb es seitens der EU immer wieder zu Verzögerungen komme. Dacic sagte, die Aufnahme von Beitrittsgesprächen sei auch wegen der Flüchtlingsfrage wichtig. „Ich möchte, dass Sie uns eine klare Perspektive eröffnen, statt Zäune zu errichten“, sagte er mit Blick auf das EU-Nachbarland Ungarn, das einen 175 Kilometer langen Grenzzaun zu Serbien baut, um den Eintritt von Flüchtlingen in den Schengen-Raum abzuwehren. „Denn was ist das für eine Botschaft für alle, die außerhalb des Zauns leben?"

Neue Straßen, bessere Schienen

Die Teilnehmer beschlossen mit der Finanzierung mehrerer grenzüberschreitender Infrastrukturprojekte durch die Europäische Entwicklungsbank „einen Mehrwert für die Menschen der Region, der zu Arbeitsplätzen für sie führen wird“, wie Kanzlerin Merkel in der Abschlusspressekonferenz sagte. Dazu zählt der Bau einer Autobahn von Serbien über den Kosovo nach Albanien ans Mittelmeer und die Modernisierung mehrerer grenzüberschreitender Bahnlinien. Insgesamt wurden damit 600 Millionen Euro von der EU mobilisiert. Die zwei im Vorfeld der Konferenz ausgehandelten Abkommen zwischen Serbien und dem Kosovo über Erleichterungen für die Serben im Norden der ehemaligen Provinz und der Vertrag zur Beilegung der Grenzstreitigkeiten zwischen Montenegro und Bosnien „machen Hoffnung“, so Merkel.
„So wie wir alle Probleme der Finanzkrise im Geist der Solidarität geschafft haben, müssen wir auch gemeinsam eine faire Verteilung der Flüchtlinge in der EU erreichen.“ Konkret kündigte Merkel die Einrichtung von „Hotspots“ zur schnelleren Ausweisung Asylsuchender bis Jahresende an, ohne Details zu nennen.
Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini bezeichnete den Schutz der Flüchtlinge als „rechtliche und moralische Pflicht der EU“. Sie kündigte ebenfalls Initiativen an, darunter eine „Herkunftsliste“ für Flüchtlinge und einen „Mechanismus zur Einhaltung der Dublin-Regeln“. Der serbische Ministerpräsident Aleksandar Vucic bedankte sich im Namen aller Westbalkanländer für die Konferenz und die Hilfe. Er appellierte an einen Mentalitätswechsel der Menschen im ehemaligen Jugoslawien, „damit nicht mehr der Staat für alles und der Bürger für nichts verantwortlich ist“. Vucic versicherte Merkel und dem österreichischen Kanzler Werner Faymann, dass die Staaten an Reformen festhalten werden. Der Balkan gehöre zu Europa und in die EU, so Vucic.

Gastgeber Faymann betonte, dass die Frage der Flüchtlinge „heute natürlich eine besondere Rolle gespielt hat. Wir wollen und können aber nicht bei einer solchen Konferenz alle Probleme lösen, dazu sind die viel zu stark“, so der österreichische Bundeskanzler. Er gab sich aber zufrieden über die beschlossenen Projekte sowie auch über den beschlossenen Jugendaustausch zwischen den sich immer noch misstrauisch gegenüberstehenden Balkanstaaten. Nach der Konferenz trafen sich Faymann und Merkel, denen ein distanziertes Verhältnis nachgesagt wird, noch zu einem bilateralen Treffen, bei dem es auch um die Griechenland- und Euro-Rettung ging. An dessen Beginn hatte Faymann Merkel mit dem höchsten österreichischen Orden ausgezeichnet, den ein Ausländer bekommen kann: das Große Goldene Ehrenzeichen am Bande.

Reinhard Frauscher

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