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Westbank und Gazastreifen: Leben in zwei Welten

Westbank und Gazastreifen – die Gegensätze der Bevölkerungen haben sich seit Jahrzehnten aufgebaut.

In Palästina geht ein Schreckgespenst um: Mit der sich anbahnenden Machtübernahme in Gaza durch die Milizen der islamistischen Hamas droht nicht nur die Regierung der Nationalen Einheit zu kollabieren. Vielmehr besteht die Gefahr, dass die palästinensischen Autonomiegebiete in zwei völlig getrennte politische Einheiten zerfallen: Die Westbank, in der Präsident Mahmud Abbas seinen Amtssitz hat und die von der Fatah dominiert wird. Und den Gazastreifen, wo der islamistische Ministerpräsident Ismail Hanija residiert und die Hamas die militärische Macht übernommen hat.

Die Furcht ist nicht ganz neu, aber realer denn je. Denn die seit 1948 andauernde geografische Trennung der beiden Gebiete hat die sozio-ökonomischen und kulturellen Unterschiede der Bevölkerungen weiter verstärkt. Die palästinensische Gesellschaft war bereits vor der Schaffung Israels durch regionale Unterschiede und konkurrierende Stämme charakterisiert. Während sich in der hügeligen Westbank politische und wirtschaftliche Zentren mit einem Bürgertum herausbildeten, war der schmale, im Osten und Süden von Wüsten umgebene Küstenstreifen von Fischern und Hirten bewohnt. Das politische Zentrum lag in der Westbank mit politischen Clans wie den Husseinis, Naschibischis oder Masris. In Gaza dominierten lokale Familien wir die Schawwas oder Schafis. Die Kriege gegen Israel haben die Unterschiede weiter akzentuiert. Während in der Westbank nur 27 Prozent der Bevölkerung Flüchtlinge aus dem heutigen Israel sind, sind es in Gaza 67 Prozent. So lebten bereits 1997 mehr als 40 Prozent der Menschen in Gaza unterhalb der Armutsgrenze ( 2,2 Dollar pro Tag pro Person), heute sind es 70 Prozent. In der Westbank traf dies 1997 nur auf 11 Prozent der Bevölkerung zu.

Nach dem ersten arabisch-israelischen Krieg 1948 wurde Gaza von Ägypten kontrolliert und die Westbank von Jordanien. Bis zur Besetzung dieser Gebiete durch Israel 1967 gab es kaum Verbindungen zwischen beiden Regionen. In Gaza wurde nach ägyptischen Schulbüchern gelernt, in der Westbank nach jordanischen. Während die Bevölkerung in Gaza damit vom Ägypten Gama al Nassers geprägt wurde und später auch von der in Ägypten gegründeten Muslimbruderschaft, rückte die Westbank näher an das haschemitische Königreich Jordanien heran. Während Ägypten den Gazastreifen völlig vernachlässigte, investierte der jordanische König Hussein in die wirtschaftliche Infrastruktur in der Westbank, die möglicherweise eines Tages in sein Königreich integriert werden sollte. Nach der Besetzung durch Israel 1967 wurden aus Sicherheitsgründen strikte Reisebeschränkungen zwischen beiden Gebieten eingeführt. Während die Palästinenser der Westbank in nur einer halben Stunde in der jordanischen Hauptstadt Amman waren und hier im Kontakt mit dem Rest der arabischen Welt blieben, waren die Gaza-Bewohner durch 450 Kilometer Wüste von der ägyptischen Hauptstadt entfernt und entsprechend abgeschnitten. Auch nach dem Abzug der israelischen Armee und Siedler aus dem Gazastreifen 2005 wird der einzige Ausgang von Gaza in Rafah de facto von Israel kontrolliert und ist oft wochenlang geschlossen – wie seit dem vergangenen Sonnabend wieder. Menschen aus Gaza können nur über den Umweg Ägypten und Jordanien in die Westbank reisen – wenn Israel sie einreisen lässt. Nur wenige Politiker und Geschäftsleute haben einen Laissez-Passer, um zwischen der Westbank und Gaza direkt hin- und herzureisen.

Die ständig gewachsenen Unterschiede zwischen den 1,4 Millionen Palästinensern im Gazastreifen und den etwa drei Millionen in der Westbank haben auch die Animositäten verstärkt. So zeigte bereits 1994 eine Studie des angesehenen Instituts für Politik und Umfragen von Khalil Schikaki aus Ramallah, dass eine „psychologische Barriere und gegenseitiges Misstrauen zwischen den Bewohnern der beiden Gebiete entstanden ist“. Diese unterschiedlichen Entwicklungen und die fehlende Verbindung zwischen den beiden Landesteilen seit 50 Jahren erklärt zum Teil die politische Zweiteilung, die sich jetzt anzubahnen droht.

Um diese zu verhindern, wird über eine ausländische Militärintervention nachgedacht. Das PLO-Exekutivkomitee soll Abbas am Mittwoch dazu aufgefordert haben, „internationalen Schutz“ anzufordern. Auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sagte, er werde über diese Möglichkeit nachdenken. Doch Israel hat bisher jede ausländische Intervention in den Palästinensergebieten strikt abgelehnt. Auch die Hamas wird nach ihrem militärischen Sieg in Gaza davon nichts wissen wollen. Und so müssten internationale Truppen im dicht besiedelten Gaza den Kampf mit den Milizen der Hamas aufnehmen, was unwahrscheinlich scheint und den innerpalästinensischen Machtkampf nicht lösen würde.

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