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Westerwelle beim Dreikönigstreffen: Der Staatsmann macht kurz Pause

Der FDP-Chef rechnet mit seinen Kritikern ab und kündigt eine "geistig-politische Wende" an. Der Star in Stuttgart ist jedoch ein anderer.

Da ist er wieder, der alte Kämpfer Guido Westerwelle. Er bedient sich seiner Stakkato-Sätze, in denen er jede Silbe betont. Westerwelle weiß genau, wie er seinem Publikum einheizt, wo er seine Pointen setzen muss, was seine liberalen Anhänger im Stuttgarter Staatstheater vor ihm gern hören wollen.

Ein paar Minuten gibt der Außenminister den Staatsmann. Aber dann redet er sich in Rage. Er lobt die "Leistungsträger" der Gesellschaft und schimpft auf die ewig nörgelnden "Bedenkenträger". Mit kalkulierter Empörung beugt er sich nach vorn und streckt den Zeigefinger nach oben: "Wir wollen an der Spitze stehen! Wir Deutsche müssen wieder mehr wagen!" Das Publikum tobt.

Es ist das traditionelle Dreikönigstreffen der FDP, Westerwelle hält seine alljährliche Neujahrsansprache, vieles daran ist bekannt. Aber die Vorzeichen sind diesmal anders. Erstmals seit elf Jahren ist die FDP nicht mehr Oppositionspartei, sondern wieder Teil der Bundesregierung. Wie und ob Westerwelle seinen gewohnt kämpferischen Auftritt seiner neuen Rolle anpasst, war im Vorfeld des Treffens eifrig von diversen Parteizirkeln diskutiert worden. 

Tatsächlich ist Westerwelle seine neue Rolle als Oberdiplomat zunächst durchaus anzumerken. Zu Beginn seiner Rede steht er kerzengrade hinter dem Pult und verkneift sich jede Polemik. Stattdessen lässt er Erfahrungen aus anderen Ländern einfließen, um zu zeigen, was in Deutschland nach seiner Ansicht reformerisch noch alles möglich wäre. Er preist die südkoreanische Forschungsbegeisterung, den Modernisierungskurs Brasiliens und die Bemühungen der Türkei, privaten Wohlstand zu generieren. Die außenpolitischen Passagen liest er fast Wort für Wort von seinem Manuskript ab. Auf diesem für ihn noch neuen Terrain will er sich nicht zu einem flapsigen oder unbedachten Spruch hinreißen lassen, der womöglich die internationalen Beziehungen verschlechtern könnte.

Aber die Außenpolitik nimmt nur einen Bruchteil seiner gut einstündigen Rede ein. Die meiste Zeit spricht er darüber, wo er sich schlafwandlerisch sicher fühlt, wo er kein Manuskript braucht: über die Innenpolitik, über Reformen, über seine Ziele für die neue Regierungspartei FDP. "Ich werde in der deutschen Innenpolitik auch künftig kräftig mitmischen. Darauf können sie sich verlassen", verspricht er seinen Parteifreunden, die in den Reibereien der schwarz-gelben Koalition in den vergangenen Wochen bisweilen ein klares Wort ihres Vorsitzenden vermisst haben.

Den Begriff, den Westerwelle auch an diesem Tag prägen möchte, um sich von den Koalitionsquerelen abzuheben, ist der der "geistig-politischen Wende". Er gebraucht ihn in seiner Rede mindestens ein halbes Dutzend Mal. Mit dieser Anlehnung an die "geistig-moralische Wende", die Helmut Kohl einst nach dem Machtwechsel 1982 versprach, will er die Steuerentlastungen und die anderen Reformen, welche die FDP nun umsetzen will, überhöhen. Lange genug hätten jene "Bedenkenträger" in den Medien und linken Parteien die Deutungsmacht ausgeübt, sagt er. Sie hätten die Nano-, Gen- und Biochemie-Technik verteufelt. Sie hätten Bürokratie und Steuern angehäuft, die Schulen und Universitäten verlottern lassen.

Westerwelle will Deutschland von diesem "Virus im Denken" befreien. Er will, dass sich "Leistung wieder lohnt", dass man mehr über "Chancen als über Risiken" nachdenke. Das Land brauche die "besten Schulen" und die "beste Technologie". "Ohne Anstrengung kein Erfolg!", ruft er. Die schwäbischen Liberalen toben.

Zum Schluss arbeitet sich Westerwelle noch ein paar Minuten an seinen Kritikern ab. Das öffentliche Genörgel über den misslungenen Start von Schwarz-Gelb ist an ihm offensichtlich nicht spurlos vorübergegangen. Seine Partei habe das Familiengeld und das Schonvermögen für Hartz-IV-Empfänger erhöht, sie habe damit mehr für "soziale Gerechtigkeit getan als die SPD in den letzten elf Jahren". Westerwelle verteidigt auch die stark kritisierte Mehrwertsteuererleichterung für Hoteliers. "Ich bin nur im Ausland zur Diplomatie verpflichtet", ruft er.

Das Publikum dankt es ihm mit einen ordentlichen Applaus. Wenngleich keinen frenetischen, wie ein Redner vor ihm, der ihm an diesem Tag beinahe die Schau stiehlt.

Birgit Homburger, die neue Fraktionschefin, ist damit nicht gemeint. Sie referierte noch einmal hastig und wortgleich das, was sie in vielen Interviews in der vergangenen Tagen und Woche schon gesagt hatte. Sie beharrt für die FDP auf weiteren Steuererleichterungen im kommenden Jahr und kündigt ein eigenes Haushaltskonzept der FDP für 2011 an, ohne allerdings konkret zu werden. Ihre Stärke sei das Strippenziehen, nicht die Außendarstellung, sagen hinterher mehrere Parteifreunde, nicht unbedingt freundlich.

Plädoyer für einen "mitfühlenden Liberalismus"

Der Shootingstar an diesem Dreikönigstag ist der neue Generalsekretär Christian Lindner. Die Rede des 30-Jährigen wird ausgelassen bejubelt, immer wieder wird er vom Applaus unterbrochen. Das liegt nicht nur daran, dass Lindner frei und pointiert spricht. Und auch nicht nur daran, dass es "Welpenschutz für Bambi" gibt, wie ein junger Liberaler sag; "Bambi" ist Linderns Spitzname.

Lindner trifft mit seinen Äußerungen über einen "mitfühlenden Liberalismus", den er anstrebe, einen Nerv. Ihn störe, dass die FDP immer als "kalt und herzlos" dargestellt werde, sagt er. Man müsse die Deutungshoheit über den Begriff "soziale Gerechtigkeit" zurückerobern. Das sind andere Töne, als sie in der Vergangenheit von der Parteiführung zu hören waren.

Schon in den letzten Oppositionsjahren wurden diejenigen in der FDP am meisten auf Parteitagen beklatscht, die höfliche Kritik an der einseitigen Marktausrichtung unter Westerwelle übten. Dazugekommen ist jetzt noch eine zweite kritische Strömung, die die FDP-Führung mahnt, nicht nur Steuern zu senken und Schulden anzuhäufen, sondern mit Rücksicht auf die nächsten Generationen auch Mut zum Sparen zu haben.

Westerwelle weiß, dass sich da Kritik angestaut hat. Deshalb hat er Lindner zum Generalsekretär befördert. Er ist nun damit beauftragt, in den kommenden Jahren ein neues Parteiprogramm zu entwerfen, das die konzeptionelle Verengung aufbrechen sollen.

Auch Westerwelle klatscht zu Lindners Rede, erst fürsorglich dreinblickend, später begeistert. Am Ende wirkt er fast ein bisschen neidisch ob dessen Erfolgs. Regieren kann ganz schön anstrengend sein.

Quelle: ZEIT ONLINE

Michael Schlieben

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